Den Politologen Franz Walter macht die Verwendung des Begriffs „Bürgergesellschaft“ in fast allen Sonntagsreden und Tagungsprogrammen misstrauisch, denn die Menschen sind seiner Ansicht nach nicht so, dass sie fortwährend mitwirken, teilhaben, partizipieren oder sich für das Gemeinwohl engagieren wollen. Die Menschen suchen immer wieder Zeiten des Rückzugs, der Erholung, der Entlastung und Regeneration, „darum haben sie Delegation und Vertretung erfunden“ (S. 806). Deshalb wird „das Gros der Deutschen auch in Zukunft vom Staat kalkulierbare wohlfahrtliche Sicherungen, moderne infrastrukturelle Angebote ... erwarten.“ Gleichzeitig werde die Politik in komplexen Gesellschaften ihren Steuerungsraum weiter verringern und „noch mehr an der Kette bürgergesellschaftlicher Partizipatoren liegen“. Die Bürgergesellschaft wird also in Zukunft im Konzert der modernen Gesellschaft und Demokratie ein wichtiges Instrument spielen (müssen). Sie darf ihre Rolle aber keineswegs überschätzen, resümiert der Autor.
Walter, Franz: Einsprüche und Fragezeichen. Bürgergesellschaft – die neue Erzählung. In: Universitas. 57. Jg. (2002), Nr. 674, S. 794-806