Die Netzgesellschaft

Ausgabe: 2011 | 2

Fast jede/r hat bereits zahlreiche Accounts bei Amazon, Facebook, eBay, seiner Bank, bei Google oder wo auch immer. Benutzernamen und Passwörter für diverse Dienste und Online-Shops füllen Seiten und Listen, die meist offen zugänglich sind oder von Hackern, wie die jüngsten Beispiele der Sony-Plattformen belegen, ausgelesen werden können. Soweit die ganz normale Realität der digitalen Welt, in der wir uns bewegen und die sich täglich wandelt. Dies wiederum verändert unsere Art zu kommunizieren ebenso wie das Verständnis von Wissen und die Art, wie wir denken und leben. Spätestens seit WikiLeaks und dem Arabischen Frühling wissen wir auch, das das Internet mehr ist als eine Plauderstube „mit Freunden“.

 

In dieser Studie aus dem Zukunftsinstitut geht es den beiden Autoren nicht primär um den technologischen Wandel, sondern um die „soziodigitale“ Dimension, also die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die mit der zunehmenden Intensivierung des digitalen Alltags einhergehen. Anhand von Interviews mit Netzakteuren wird ein Blick auf die Zusammenhänge von Social Media und pädagogischer Arbeit, auf die Rolle der Neuen Medien in Glaube und Religion geworfen und dem Konnex von Politik, Teilhabe und Demokratie durch Open Date und Open Government nachgespürt. Andreas Haderlein und Janine Seitz zeigen mit insgesamt „sieben Schlüsseltrends des digitalen Wandels“, was uns diesbezüglich erwartet.

 

 

 

Metatrends

 

Als wichtigste Metatrends streicht Haderlein im Deutschlandradio Kultur (v. 19.4.2011, 7:15 min) zwei Aspekte heraus. Da ist einmal das Crowdsourcing, die kollektive Lösungssuche im Netz. Dieser Trend basiert auf der Weisheit der Vielen, die sich in Echtzeit im Netz eines Problems annehmen. Ein weiterer wird mit dem Begriff „Mobivilisation“ umschrieben, einem Hybridwort aus Mobilität und Zivilisation. Er bezeichnet die zunehmende Verbreitung des mobilen Internets und besagt, dass das Internet verschwindet, weil es ohnehin überall existiert. Dies wiederum sorgt für eine gesteigerte Kommunikationskomplexität, die letzten Endes einen bewussten und selbstbestimmten Umgang mit dem Internet erfordert und den viele User erst lernen müssen. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang bereits existierende Angebote für  E-Mail-freie Tage in Unternehmen, an denen man sich etwa zusammensetzt, um „face to face“ das zu tun, was bei weitem nicht mehr selbstverständlich ist: das Mit-einander-ins-Gespräch-Kommen. Haderlein spricht gar vom Terror der „Regime der Attachments“, die ständig weitergeleitet werden und für die sich eigentlich keiner so richtig verantwortlich fühlt.

 

In einem ausführlichen Interview mit einem Lehrer geht es um die Anwendung von Facebook im Unterricht. Der Pädagoge setzt dieses soziale Medium bewusst im Unterricht ein um mit den Schülern zu kommunizieren und er instrumentalisiert die sozialen Medien für didaktische Belange. Auch Unternehmen kommen heute gar nicht mehr umhin, sich mit den sozialen Medien auseinanderzusetzen. Der Kunde hat ein größeres Gewicht bekommen und er weiß auch, wie er mehr über ein Unternehmen herausfinden kann. Was bringt einem Hotel oder Unternehmen ein Hochglanzprospekt, wenn auf Plattformen wie kununu (www.kununu.com/) Mitarbeiter ihre Arbeitgeber oder via Holidaycheck (www.holidaycheck.at) die Hotelgäste selbst ihre Eindrücke öffentlich machen.

 

Durch Echtzeit-Marketing mit Twitter (vgl. S. 178) hat der Elektronikkonzern Best Buy den Umsatz trotz Rezession von 9,8 auf 11 Milliarden US-Dollar steigern können (www.bestbuy.com). Auch Bürgerbeteiligung via Twitter ist bereits möglich, etwa in San Francisco, wo Bürger Anfragen und Beschwerden an die Stadtverwaltung über das Online-Portal (http://sftwitter.sfgov.orgtwitter, http:// twitter.com/sf311) loswerden. Um diese Anfragen kümmern sich inzwischen 311 Mitarbeiter rund um die Uhr.

 

Der jüngste Skandal um den ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg zeigt, welche Macht das Internet hat und wie leicht eine Plagiatsdokumentations-Plattform (http://de.guttenplag.wikia.com) den Rücktritt eines Politikers bewirken kann. Wie sehr heute jeder User auch ein Player ist, zeigt das Beispiel IKEA. Fans des Möbelhauses haben ohne Wissen des Unternehmens ein Video gedreht. Anstatt aber weitere Aufnahmen zu verbieten, entschloss sich das Möbelhaus, die virale Verbreitung (auch Virus-Marketing) durch die Comedy-Soap „IKEA Heights“ im Internet noch zu verstärken (www. ikeaheights.com). Ein weiterer Trend ist „Open Everything – Die Welt gehört der Offenheit“. Die Berliner Philharmonie eröffnet mit ihrer Digital Concert Hall ein neues Zeitalter der Musikübertragung. Alle Konzerte werden live über das Internet ausgestrahlt und via Archiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (www.digitalconcerthall.de) .

 

Das Internet ist heute für die meisten Menschen Alltag, Online-Shopping selbstverständlich und als unerschöpflicher Wissenspool nicht mehr wegzudenken. „Es ist in der Mitte der Gesellschaft verankert – genauso eine Instanz des Zeitvertreibs wie der Zeitverschwendung, ebenso ein manipulierendes Massenmedium wie ein Demokratiewerkzeug“. (S. 11) In ihrer „Onlinestudie 2010“ haben ARD und ZDF erhoben, dass 2015 schätzungsweise 80 Prozent der Deutschen online sein werden, weltweit sind es fast zwei Milliarden Menschen. 2010 sind es annähernd 50 Millionen, die als Nutzer von E-Mail, Facebook, YouTube-Gucker oder Schüler eines virtuellen Klassenzimmers im Netz unterwegs sind. Anhand dieser Zahlen sieht man, wie mächtig das Internet jetzt schon ist. Deshalb gilt wohl für alle – frei nach Schirrmacher (2009) – wir müssen lernen mit dem Medium umzugehen und dürfen die Kontrolle über unser Denken nicht verlieren. A. A.                           

 

Haderlein, Andreas; Seitz, Janine: Die Netzgesellschaft. Schlüsseltrends des digitalen Wandels. Kelkheim: Zukunftsinstitut, 2011. 211 S., € 180,- 

 

ISBN 978-3-938284-58-2

 

(Bezug der Studien unter: www.zukunftsinstitut.de)