Wie wir in Zukunft reisen werden

Ausgabe: 2011 | 2

Jedes Jahr machen sich hunderttausende Reiselustige auf den Weg in ihren wohlverdienten Urlaub. Dafür nehmen sie kilometerlange Staus ebenso in Kauf wie Stress an den Flughafenabfertigungsschaltern. Nach der weltweiten Wirtschaftskrise, den politischen Umbrüchen in Nordafrika, der Terrorgefahr und den jüngsten Naturkatastrophen befindet sich die Reisebranche in einem massiven Veränderungsprozess. Wo angesichts dieser Umbrüche künftig die Reise hingehen wird, hat das Zukunftsinstitut eruiert, um der Branche entsprechende Handlungsoptionen zu offerieren. Im ersten Teil der Studie werden die aktuell wichtigsten Trends und ihre konkreten Auswirkungen auf den Tourismusmarkt analysiert. Im Fokus des zweiten Teils stehen die Wünsche und Sehnsüchte der KonsumentInnen, die den Reisemarkt von morgen maßgeblich beeinflussen werden.

 

Wie üblich sind viele der in den Trendstudien des Zukunftsinstituts ausgewiesenen Entwicklungen nachvollziehbar und plausibel. So sind etwa Pilgerreisen und Selfness-Urlauber letztlich die logische Konsequenz der vielzitierten Sinnmärkte. Andere Prognosen wiederum scheinen eher an den sprichwörtlichen Haaren herbeigezogen zu sein. Storm Watching ermöglicht zweifellos das direkte Fühlen der Naturgewalten und es wird auch immer wieder Leute geben, die darin einen gewissen Reiz sehen, wie etwa die Tornado Hunters in den USA. Daraus einen Tourismus-Trend abzuleiten, scheint aber doch etwas gewagt, obwohl Hotels natürlich auch in diese Richtung etwas anbieten. Anderes wiederum erweckt den Eindruck des Selbstverständlichen bzw. des „Immer-schon-da-Gewesenen“, etwa der Trend „View &Watch“, die Sehnsucht der Konsumenten nach dem Nichtalltäglichen, dem Unbekannten, mitunter auch dem Gefährlichen und Mysteriösen.

 

 

 

Megatrends

 

Für Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts Österreich und Experte für „New Living“, sind die Entwicklungen der Demographie, die Sehnsucht nach mehr Natur und die „Reise zu sich selbst“ wesentliche Megatrends des Tourismussektors. Die Gesundheit avanciert von einem Mangelprinzip gar zum Zukunftskonzept im Sinne von „Vorbeugen statt Heilen“. „Auch der Trend zur Selbstmedikation ist weiterhin steigend und immer häufiger wollen Menschen selbst wissen, wie es um sie steht.“ (S. 20) Welchen Einfluss hier Initiativen engagierter Ärzte und Apotheker und nicht zuletzt Schreckensmeldungen in den Medien haben, die auf die Gefahren der Selbstmedikation und Online-Medikamente vielfach durch haarsträubende Beispiele hinweisen, bleibt abzuwarten. Ob es der Chip im Laufschuh, ob es ein Schlafzyklenwecker oder eine Waage kombiniert mit dem iPhone ist, das führt zu einem weiteren Konzept der Gesundheitsbewegung, die sich „Soft Health“ nennt und bedeutet, dass Gesundheit kein „Add-on“ ist, sondern zunehmend im Alltag verankert werden soll. Für den Tourismus bedeutet es beispielsweise Hotelzimmer, die so eingerichtet sind, dass sie den Menschen in seiner Gesundheit unterstützen.

 

Das Reisen wird auch in Zukunft einen hohen Stellenwert haben, denn es ist, so Gatterer, in unserer Mobilitätsgesellschaft eine Art „Erinnerungsdesign“ und bleibt häufig im Langzeitgedächtnis hängen. Bezugnehmend auf den Trend „New Work“ bedeutet das den Aufschwung der nachgefragten (Kreativ-)Ökonomie der Dienstleistungsbranche. Bildungsurlaube, Incentivereisen und Team-Building-Workshops werden sich in Zukunft stärker auch zwischen „Fun und Funktion“ bewegen, was immer das auch heißen mag. Der Megatrend „Neo-Ökologie“ schließlich will Natur den Menschen wieder näherbringen. In diesem Zusammenhang schließt Nachhaltigkeit nicht nur die Natur, sondern auch ethische Grundfragen mit ein.

 

 

 

Tourismus der Zukunft

 

Anja Kirig, Autorin von Studien zu Freizeit, Gender, Food, Gesundheit und Konsum, präsentiert anhand zahlreicher Beispiele sechs Schlüsseltrends für die Tourismusindustrie der Zukunft. Einer davon ist die Sehnsucht nach einer „Informationsflut“-Fastenzeit mit Konzentration auf das Wesentliche. Dabei geht es weniger um das Internet als um die ständige Berieselung durch Informationen über WLAN oder anderer Medienkanäle und nicht zuletzt um die Multitools der „App-Welt“. „Um die Batterien wieder aufzuladen, um das Erlebte zu verarbeiten und nicht zuletzt um die vielen Informationen des Alltags progressiv in neue Taten zu lenken, benötigen die Menschen des 21. Jahrhunderts mehr denn je Orte des Rückzugs, der Besinnung und des Krafttankens.“ (S. 42) Beispiele dafür sind ein Modelldorf auf Teneriffa, „das die Aspekte Abgeschiedenheit und Naturerfahrung mit Moderne und anspruchsvoller Architektur bemerkenswert verbindet“ (S. 44) oder eine 4-Sterne-Slow-Food-Unterkunft in Cornwall (www.bedruthan.com) und nicht zu vergessen das Rasa-Hotel in Jaipur in Indien (www.sterling-hotels.com7rasa), dessen Zimmer aus 40 Zeltquadern bestehen und dessen Restaurant nur selbst angebaute Bioprodukte anbietet. Verstärkt abgedeckt wird auch die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ etwa im Boutique Hotel Blythswood Square inGlasgow (www.blythswoodsquare. com).

 

Folgt man den Erhebungen der Welttourismusorganisation (UNWTO), dann beginnt das Jahrhundert der Globtrotter erst jetzt. (Grafik S. 53) Ein weiterer Trend ist bemerkenswert, nämlich „Slow Budget Travelling mit Pleasure-Effekt“, der weniger auf einer „Geiz ist geil“–Philosophie basiert, sondern auf dem Wunsch nach einer Steigerung der Lebensqualität durch Kostenkontrolle und finanzielle Freiheit.

 

„Gerade im Mobilitätszeitalter sind die Unterwegsmärkte von dieser Entwicklung mehr denn je geprägt.“ (S. 67) Das so genannte Turboshopping (an Flughäfen oder Bahnhöfen) wird sich weiter entwickeln und auf Trankstellen ausdehnen, die zu Minisupermärkten mit Tankoption mutieren. A. A.

 

Kirig, Anja; Gatterer, Harry: Travel-Trends. Wie wir in Zukunft reisen werden. Hrsg. v. Zukunftsinstitut. Kelkheim, 2011. 104 S., € 182,- (www.zukunftsinstitut.de)

 

ISBN 978-3-938284-57-5