Wie können Menschen felsenfest von Dingen überzeugt sein, die ganz klar und eindeutig falsch sind? Das ist die Ausgangsfrage des Buches von Philipp Sterzer. Darin geht der Neurologe, Psychiater und Hirnforscher der Frage nach, wie Überzeugungen in unseren Köpfen entstehen. Seine Kernthese ist, „dass Überzeugungen, wie ‚normal‘ oder ‚verrückt‘ sie uns auch erscheinen mögen, immer nur Hypothesen sein können“ (S. 19). Sich also als falsch erweisen können. Dennoch sind wir überzeugt von unseren Überzeugungen. Und sehen auch nicht, dass wir bei deren Ausbildung systematisch kognitiven Verzerrungen unterliegen, wobei der Umstand, dass wir uns dessen meistens nicht bewusst sind, seinerseits als kognitive Verzerrung bekannt ist, so Sterzer: die sogenannte Verzerrungsblindheit. „Wir haben einen blinden Fleck für unsere kognitiven Verzerrungen.“ (S.75) Zusammengenommen heißt das: Wir sind in unserem Denken viel weniger rational, als wir denken. Rationalität als Illusion. Verrückt ist das wiederum nicht, sondern durchaus funktional, so der Autor. Denn unsere Überzeugungen helfen uns, „uns einen Reim auf die Ungereimtheiten in der Welt um uns herum zu machen“ (S. 244). Das ist der Kern der Theorie des Predictive Processing, übersetzt vorhersagende Verarbeitung – „die Idee vom Gehirn als aktive Vorhersagemaschine“ (S. 154). Demnach bildet unser Gehirn die Welt da draußen nicht bloß ab, sondern entwickelt fortlaufend Vorhersagen über Ereignisse dort und die Sinneseindrücke, die es erreichen. „Aus der Kombination seiner Vorhersagen mit den verfügbaren, oft unsicheren Sinnesdaten konstruiert das Gehirn so unsere Wahrnehmung der Welt.“ (ebd.) Letztlich bedeutet das, dass jedes Gehirn seine eigene Welt erzeugt. In einen Solipsismus führt die Theorie dennoch nicht. „Wir sollten einen rationalen Umgang mit unserer Irrationalität finden“, postuliert Sterzer (S. 248). Indem wir unsere Überzeugungen eben nicht als feststehende Tatsachen begreifen, sondern als Hypothesen. Und uns so „aus der Festgefahrenheit unserer eigenen Überzeugungen befreien“ (S. 260). Und die Leugner:innen, die Dinge weitab jeder Evidenz und Wahrscheinlichkeit glauben? Durch Nachfragen den Wunsch zu signalisieren, sein Gegenüber besser verstehen zu wollen, könne helfen, Gräben zu überwinden. Sterzer möchte vermitteln, „dass es nicht aussichtslos ist, mit Andersdenkenden zu reden“ (S. 273).