Der Titel des letzten in diesem Abschnitt besprochenen Buches ist doppeldeutig. „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“ meint zum einen das historisch sehr junge Phänomen der globalen Begrenztheit der Ressourcen. Sie verweist aber auch darauf, dass es die Übernutzung der Natur und – dieser korrespondierend – Mahnungen zu einem sorgsamen Umgang mit ihr schon seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden gibt. In seiner „Kulturgeschichte“ der Nachhaltigkeit zeichnet der Autor Ulrich Grober, Pro Zukunft-LeserInnen bereits durch sein schönes Buch „Übers Wandern. Die Wiederentdeckung einer alten Kunst“ (PZ 2006/4) bekannt, daher beides nach. Er skizziert die noch junge Genese des Begriffs der Nachhaltigkeit von den „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome 1972) über die Brundtland-Kommission (1987) bis hin zur Konferenz von „Rio“ (1992) und ihren Nachfolgemeetings. Doch das ist bekannt und hätte keines eigenen Buches bedurft. Grober webt in diese neue Geschichte der Nachhaltigkeit aber auch die kulturellen Webmuster der neuen sozialen Bewegungen sowie der Umweltbewegung im Besonderen ein.
Der Song „Imagine“ von John Lennon und Yoko Ono, der eine Welt in Frieden ohne Hunger und Gewalt beschreibt („You may say I am a dreamer, but I am not the only one. I hope, some day you´ll join us. And the world will live as one”), wird dabei ebenso zitiert wie der erste Umweltklassiker „Silent Spring“ von Rachel Carson oder die neue Psychologie der Lebensbedürfnisse von Abraham Maslow. Und auch der erstmalige Blick auf die Erde aus dem Weltall wird in die mentale Formung eines Bildes von der „Einen Welt“ eingeflochten. „Die Herausforderung an uns alle“, so zitiert Grober den Austronauten und Fotografen von „blue marble“, Harrison Schmitt, sei es, „diese Heimat zu behüten und zu schützen. Gemeinsam. Als Menschen dieser Erde.“ (S. 29). „Die Umkehr des Blicks erzeugte ein Wir-Gefühl“, so ergänzt der Umweltjournalist, „das nun nicht mehr nur auf einen Nahraum begrenzt war, sondern die ganze Erde einschloss.“ (ebd.)
Entdeckung der „Oecologie“
Doch nicht weniger interessant wie diese zeitgeschichtliche Rahmung der Nachhaltigkeit ist das Eintauchen des Autors in die frühere Kultur-, Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte: von Platons Lehre des „rechten Maßes“ über die Naturverbundenheit und Einfachheit des Franz von Assisi (und der mittelalterlichen Mystik) bis hin zur Entdeckung der ersten „Oecologie“ durch Goethe, Herder, von Humboldt oder Linné (sowie die Gegenparts der Weltbeherrschung seit Leibniz und Spinoza). Selbstverständlich wird auch der Kontext des erstmaligen Auftauchens des Begriffs der Nachhaltigkeit beleuchtet – das ins 17. und 18. Jahrhundert datierte forstwirtschaftliche Prinzip „nachhaltige Waldwirtschaft“, das eigentlich aus einer herrschaftlichen Verfügung des Zugriffsrechts entstand – Grober spricht von „Vermessung der Wälder“. Dass der Zugang zu bzw. die Herrschaft über Energieressourcen eine entscheidende Konstante des Wirtschaftens – gestern, heute und morgen – darstellt, macht das anschließende Kapitel „Fossil, nuklear, solar“ deutlich.
Es ist faszinierend, den vielschichtigen Erkundungen und historischen wie zeitgenössischen Bezügen des Autors zum Thema Nachhaltigkeit zu folgen, die immer wieder auch transkulturelle Bezüge herstellen. So schildert Grober etwa gleich zu Beginn das überlebensnotwendige Aufbewahren von Saatgut in traditionellen afrikanischen Kulturen. „Was die Bauern da für später zurücklegen – als Reserve vorhalten –, ist das Saatgut für das kommende Jahr, ihre Lebensversicherung, die einzige, die sie haben. Unsichtbar für begehrliche Blicke, unerreichbar für hungrige Mäuler bleiben die Säckchen liegen. Auch dann noch, wenn die Erträge der letzten Ernte aufgezehrt sind.“ (S. 7) Afrika sei daher ein „großer Lehrmeister. Er erzieht zur Resilienz“ (ebd.). Zugleich erfahren wir, dass auch Goethe so gedacht hatte: „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden, meinte dieser.“ „Zeitlose Weisheit und wunderbare Metapher für Nachhaltigkeit“, meint Grober (S. 9). Dem kann man sich nur anschließen. So schimmert freilich immer auch die Sichtweise des Autors selbst durch, der auf eine Lebensweise des „Langsamer – weniger – besser – schöner“ (Toblacher Gespräche, 1992) setzt. Grober hofft auf das in vielen Kulturen und Bewegungen anzutreffenden „Wortfeld“ der Nachhaltigkeit und darauf, dass seine Zukunft erst bevorsteht: „Überall in der Welt tritt es in die Alltagskultur ein, verbindet sich mit sinnlichen Erfahrungen und gewinnt selber eine sinnliche Qualität.“ (281f) Sein Buch ist eine Einladung, dieser Sinnlichkeit im eigenen Leben nachzuspüren. H. H.
Grober, Ulrich: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München: Kunstmann, 2010. € 19,90 [D], € 20,50 [A] sFr 33,80
ISBN 978-3-88897-648-3