Der Ecological Footprint

Ausgabe: 2011 | 1

Wahrgenommen wird nur, was sich messen lässt. Ausgehend von dieser Erkenntnis, gibt es seit längerer Zeit Anstrengungen, auch das, was in der Wirtschaft bislang kaum berücksichtigt wird, empirisch zu erfassen – den Naturverbrauch. Ein Instrument, das in diesem Zusammenhang an Bedeutung gewinnt, ist der ökologische Fußabdruck. Hans Holzinger stellt aktuell Expertisen dazu vor.

 

 

 

Ecological Footprint

 

Lange Zeit galt das Bruttosozialprodukt als unangefochtenes Maß für die Produktivität einer Volkswirtschaft. Neuerdings mehren sich jedoch die Zweifel, ob auf diese Weise der Stand einer Wirtschaft adäquat abgebildet werden kann. Zumindest die Gleichsetzung des Bruttosozialprodukts mit dem Wohlstandsniveau einer Gesellschaft wird in Frage gestellt. Ein wesentlicher Grund hierfür sind die so genannten Negativkosten, die in der wirtschaftlichen Buchhaltung als Erfolge aufscheinen, jedoch die Lebensqualität und auch die Wettbewerbsfähigkeit verringern. Ein bekanntes Beispiel sind Krankheitskosten: Gesellschaften mit guter Gesundheitsvorsorge, mit ausbalancierenden Sozialsystemen und hoher Chancengerechtigkeit verringern die Krankheitsausgaben und damit auch das BSP. Ein anderer Kritikpunkt liegt in der Nicht-Erfassung aller informellen Tätigkeiten: Haushalts- und Familienarbeit, Betreuungstätigkeiten, Nachbarschaftshilfe – all das findet keinen Niederschlag in der herkömmlichen volkswirtschaftlichen Erfolgsmessung. Erst wenn sie vom Markt erbracht, also bezahlt verrichtet werden, schlagen sie im BSP zu Buche. Ein ganz wesentlicher nicht erfasster Bereich sind auch die in der Regel externalisierten Umweltkosten, die der Allgemeinheit, häufig auch erst späteren Generationen  aufgehalst werden. Hier setzen Ansätze der Messung des Naturverbrauchs an.

 

 

 

Ökologische Buchführung

 

Mit dem ökologischen Rucksack wird der Gesamtressourcenverbrauch einzelner Produkte bzw. Dienstleistungen erfasst. Anhand von Produktlinienanalysen lässt sich der Produktlebenszyklus von der „Wiege bis zur Bahre“ verfolgen und der Umweltverbrauch darstellen. So wiegt der ökologische Rucksack eines Autos von einer Tonne Gewicht etwa 20 Tonnen. Ein Handy kommt auf einen „Rucksack“ von etwa 7 Kilogramm. Der ökologische Rucksack ist hilfreich in der Optimierung von Produktions- und Verbrauchsketten – in anderen Worten – im Versuch der „Dematerialisierung“ des Wirtschaftens. Und er ermöglicht die Erfassung der Stoffströme einer Volkswirtschaft.

 

Die Umweltwissenschaftler William Rees und Mathis Wackernagel haben einen anderen Weg eingeschlagen. Nicht die Stoffströme, sondern das was uns die Erde dauerhaft gibt, also alle erneuerbaren Ressourcen, seien zukunftsentscheidend, so die beiden. Sie erfassten die für den Menschen „bioproduktiven Flächen“ der Erde bzw. einzelner Länder – die „Bio-Kapazität“ ist somit ein Maß für das, was dauerhaft „nachwächst“ auf Äckern, Weiden, in Wäldern oder Gewässern. Und sie stellten dieser den Verbrauch gegenüber: Ackerland für Getreide, Gemüse, Obst, Mastfutter, Energiepflanzen oder Textilfasern, Weideland für Vieh, Wald für Holzgewinnung oder Papiererzeugung, Gewässer für die Entnahme von Fisch und anderen Meerestieren. Dies nannten die Wissenschaftler den „Ökologischen Fußabdruck“, den eine Person, ein Land oder die Menschheit insgesamt hinterlässt. Gesondert berücksichtigt wird der Klimawandel. Das „CO2-Land“ umfasst jene virtuelle Waldfläche, die benötigt würde, um das durch unseren Konsum emittierte CO2 in Bäumen zu binden.

 

Die Gegenüberstellung von Biokapazität und „Fußabdruck“ ermöglicht nun – analog einer betriebswirtschaftlichen Buchhaltung – die Saldierung von Umweltvermögen und Umweltverbrauch. Auf Länderebene etwa lassen sich so „ökologische Schuldner“ von „ökologischen Gläubigern“ unterscheiden.

 

Die „Währung“ des Ökologischen Fußabdrucks ist demnach die biologisch produktive Erdoberfläche. Eine Ware oder Dienstleistung „kostet“ dann eben eine bestimmte Menge „Natur“.

 

 

 

Footprint-Szenarien

 

Rees und Wackernagel veröffentlichten 1996 erstmals ihr Konzept in „Our Ecological Footprint“, in dem von ihnen gegründeten „Global Footprint Network“ mit Partnern in vielen Ländern wurden das Instrument und die Datenlage immer mehr verfeinert. Gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Bert Beyers hat Wackernagel nun den aktuellen Stand der Forschung im Auftrag von „Brot für die Welt“ und der Aachener Stiftung Kathy Beys zusammengefasst. Das markante Ergebnis der Footprint-Studien: Während im Jahr 1961 noch in der Mehrzahl der 150 erfassten Staaten die Biokapazität den Naturverbrauch überwogen hat, sind heute die ökologischen Gläubigerländer weit in der Überzahl. Wir leben sozusagen auf Pump, nicht mehr von den Zinsen des Naturkapitals, sondern knabbern dieses selbst an. Wohl gemerkt, wenn man – wie wir es tun – den Klimawandel ernst und die virtuellen CO2-Flächen des „Fußabdruck“ berücksichtigt. Zwei Abschnitte sind umfangreichen „Footprint-Studien“ zu China und Afrika gewidmet, ein Kapitel erörtert in Analogie zu den UN-Klimaszenarien mögliche „Footprint-Szenarien“ bis zum Jahr 2050. Nur das Szenario „Schnelle Reduktion“ – Halbierung der CO2-Emissionen bis zur Jahrhunderthälfte – würde die Rückkehr in den „grünen Bereich“, also den Status unterhalb des „overshoot“ erwirken. Bei „langsamer Reduktion“ – Halbierung der CO2-Emissionen bis 2100 – würde die Übernutzung des Planeten bleiben. Die Projektion des Status quo in die Zukunft würde bis  2050 eine 2,5-fache Übernutzung der Bio-Kapazität bedeuten.

 

Wackernagel sieht im „Ökologischen Fußabdruck“ vor allem ein Kommunikationsinstrument, das nicht moralisiert, sondern mit Fakten argumentiert und zeigen soll: „Es lohnt, sich auf eine ressourcenlimitierte Welt vorzubereiten.“ (S. 66).

 

 

 

 

 

Living Planet Report

 

Alle zwei Jahre erscheint der „Living Planet Report“ des WWF, in dem neben Indikatoren zur Artenvielfalt auch die Daten zum Ökologischen Fußabdruck für ein breites Publikum verständlich aufbereitet werden. Der Report 2010 informiert auf der Datengrundlage von 2007 über die Biokapazität und den Naturverbrauch von über 150 Staaten; er weist aber auch weitere sehr informative Indikatoren aus. Beispielsweise den Wasserfußabdruck, der nicht nur den direkten Wasserverbrauch der Länder umfasst, sondern auch den indirekten, also jene Wassermengen, die mit den importierten Gütern (virtuelles Wasser) „konsumiert“ werden. Während ein durchschnittlicher deutscher Haushalt etwa 122 Liter pro Kopf und Tag verbraucht, schnellt dieser Wert mit dem importierten Wasserfußabdruck auf über 5000 Liter in die Höhe. Berechnet wird auch die Herkunft des verbrauchten Wassers, wobei sich zeigt, dass gerade Regionen mit hoher Wasserknappheit häufig von dieser Art des „Wasserraubs“ betroffen sind. Beklemmend wirkt die Kartierung der globalen Süßwasserleistung der Ökosysteme, der gemäß viele Regionen zukünftig ihren Wasserbedarf nicht mehr stillen werden können, etwa in Nordafrika.

 

Aufschlussreich sind auch Kartierungen zu den Fisch- und Waldbeständen – so beziehen über 1 Milliarde in Armut lebender Menschen ihren Lebensunterhalt direkt aus den Wäldern – sowie durch neue Satellitenaufnahmen möglich gewordene Erhebungen zu den „terrestrischen Kohlenstoffspeichern“ der Erde. Diese werden von Belang, wenn Ländern diese Umweltleistungen im Rahmen von Klimavereinbarungen abgegolten werden bzw. wenn Wälder auf diese Weise einen alternativen Nutzwert jenseits der Rohstoffausbeute erhalten (REDD-Programm – Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern).

 

Auch der Living Planet Report beschreibt mögliche Zukunftsszenarien. In „Business as Usual“, also bei Fortschreibung des Status quo wird bis 2050 mit einer Erhöhung des Naturverbrauchs auf 2,8 Planeten gerechnet. Zwei weitere Szenarien setzen auf einen 95-prozentigen Umstieg auf erneuerbare Energien und differenzieren nach den zukünftigen Ernährungsgewohnheiten (bei denen laut AutorInnen noch keine Zukunftskonzepte vorliegen): bei einer weltweiten Ernährung nach italienischem Vorbild – weniger Fleisch als andere Industriestaaten – würden wir die Biokapazität der Erde noch immer um das doppelte übernutzen erst bei „malayischer Ernährung“ kämen wir runter auf 1,3 Planeten.

 

Der Report schließt mit Zukunftsstrategien: Ergänzung des BIP um Sozial- und Umweltindikatoren, Investitionen in Biokapazität zur Steigerung der Landproduktivität, Anerkennung der Biodiversität und der Umweltleistungen von Ökosystemen, Umstieg auf erneuerbare Energien sowie – was als zentral herausgestellt wird – auf einen weniger ressourcenintensiven Ernährungsstil. Vorgeschlagen werden Flächennutzungspläne und Landzuteilungen (nach Grundbedürfnissen), um Nutzungskonflikte zu verhindern, sowie Ressourcenkontingentierungen, z. B. nationale Budgets für Kohlenstoffemissionen.

 

 

 

 

 

Biokapazität zum Überleben

 

Entwicklungsländer sind in der Regel noch stärker als Industrieländer auf eine funktionierende Versorgungsbasis durch die Natur angewiesen. Zum einen verfügen sie häufig über eine aufgrund der härteren klimatischen Bedingungen schlechtere Ertragslage, zum anderen wird immer mehr „Naturkapital“ mit der Verstrickung in den einseitigen Welthandel exportiert. Monokulturen sowie der menschengemachte Klimawandel verringern die Tragfähigkeit der eigenen Ökosysteme weiter – dies alles bei einer rapide wachsenden Bevölkerung. Was nichts anderes heißt, als dass weitere und noch schärfere Konflikte vorprogrammiert sind. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) hat daher gemeinsam mit dem Global Footprint Network eine  Broschüre zum „Ökologischen Fußabdruck“ herausgebracht. Sehr anschaulich werden auch hier die Meßmethoden und Ergebnisse der „Umweltwährung“ beschrieben und insbesondere die Zusammenhänge für Entwicklungsländer herausgearbeitet. Länderprofile aus Latein- amerika, Asien und Afrika zeigen die unterschiedliche Vulnerabilität einzelner Staaten auf. Ein Vergleich des Footprint von Deutschland und China zeigt, dass mittlerweile beide Länder über ihre Verhältnisse leben und dass China aufgrund der geringen eigenen Biokapazität (0,9 gha pro Kopf; Weltdurchschnitt = 1,8 gha) immer mehr auf Import von „Umwelt“ auch zur Versorgung der eigenen Bevölkerung angewiesen ist, etwa durch große Getreideeinfuhren.

 

Die Publikation erklärt das Konzept des Ökologischen Fußabdrucks sehr gut, zahlreiche Illustrationen, Infokästen, didaktische Anregungen sowie eine beigefügte CD-ROM legen den Einsatz auch im Unterricht nahe.

 

 

 

 

 

Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt

 

Im Januar 2011 hat die vom deutschen Bundestag beauftragte Equetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ ihre Arbeit aufgenommen. Regierung und Opposition suchen mit ihrer Hilfe einen Indikator, der Wachstum und Wohlstand neu definiert. Hans Diefenbacher und Roland Zieschank zeigen in ihrer prägnanten Zusammenschau „Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt“, dass weltweit nach alternativen Messmethoden gesucht wird, etwa in Frankreich, Großbritannien oder den USA. Zudem beschreiben sie den von ihnen vorgelegten „Nationalen Wohlfahrtsindex“, der aus über 20 Variablen besteht. Positiv einbezogen werden etwa der Wert von Haus- und Freiwilligenarbeit sowie die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung, negativ zu Buche schlagen etwa Kosten von Verkehrsunfällen, Kriminalität und Drogenkonsum. Erhoben werden auch Schäden durch Luft- oder Wasserverschmutzung, Lärm, Bodenbelastung oder CO2-Emissionen. Die Netto-Neuverschuldung drückt ebenfalls das Wohlstandsniveau, positiver hingegen werden die Ausgaben für eine ökologische Transformation bewertet. Ob dieses sehr komplexe Berechnungsverfahren der Experten Realisierungschancen hat, ist wohl noch offen. Womöglich sind einfachere Indikatoren leichter vermittelbar, etwa ein von Meinhard Miegel und dem „Denkwerk Zukunft“ entwickeltes „Wohlstandsquartett“, das dem BIP drei weitere Indikatoren zur Seite stellt: die Relation der Einkommen der reichsten 20 Prozent der Bevölkerung zu dem der ärmeren 80 Prozent, die „gesellschaftliche Ausgrenzungsquote“ (erhoben durch Repräsentativumfragen) sowie eben derökologischeFußabdruck. H. H.   Ökologischer Fußabdruck

 

 

 

Fußabdruckspiel der JBZ

 

Den eigenen ökologischen Fußabdruck spielerisch zu erheben und mit dem Durchschnitt oder der Biokapazität des eigenen Landes zu vergleichen, ist das Ziel eines von JBZ-Mitarbeiter Hans Holzinger ursprünglich für Österreich entwickelten Fußabdruckspiels. Es liegt nun in aktualisierter Version auch für Deutschland und die Schweiz vor und kann auf der Homepage der JBZ zum Selber-Basteln herunter geladen werden. StudentInnen der Ecodesign Köln arbeiten im kommenden Semester an einer grafischen  Neuaufbereitung.  Dort findet man auch weitere didaktische Materialien wie „Kleiner- großer Fußabdruck“ oder das „Weltressourcen-Spiel“. www.jungk-bibliothek.at/fussabdruckspiele.htm

 

Wackernagel, Mathis; Beyers, Bert: Der Ecological Footprint. Die Welt neu vermessen. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2010. 243 S. €  19,90 [D], 20,50 [A], sFr 33,80

 

ISBN 978-3-434-60000-8

 

Living Planet Report 2010. Biodiversität, Biokapazität und Entwicklung. Hrsg. vom WWF  (u. a.), 120 S. Download unter www.wwf.de

 

 Großer Fuß auf kleiner Erde? Bilanzieren mit dem Ecological Footprint. Hrsg. von der GTZ u. a. Eschborn: GTZ, 2010. 136 S. (Nachhaltigkeit hat viele Gesichter; 10). Download unter www.conservation.development.net  und unter info@gtz.de

 

Diefenbacher, Hans; Zieschank, Roland: Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt. Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt. München: ökom-Verl., 2011. 110 S., € 12,95 [D], 13,30 [A], sFr 21,90 ;  ISBN 978-3865812-155