Wertvolle Arbeit haben Christoph Broszies und Henning Hahn geleistet. Sie haben die Schlüsseltexte der internationalen Debatte über „Globale Gerechtigkeit“ in einem gleichnamigen Sammelband zusammengetragen. Sie zeichnen dabei das Denken der vergangenen 40 Jahre über die Frage nach, wie eine Gerechtigkeit aussehen sollte, die für jeden Menschen auf dieser Welt gilt.
Die Debatte nahm etliche Wendungen, anhand derer man gut nachvollziehen kann, wie komplex das Thema ist. Gleich zu Beginn stellt sich die Frage, ob Gerechtigkeit für alle Menschen dasselbe bedeutet. Ein Teil der Autorinnen und Autoren bejaht dies. Sie gehen davon aus, dass alle Menschen überall und gleichermaßen von moralischer Wichtigkeit sind. Aber dieser Satz wird bereits bestritten. Ist es nicht so, dass Gerechtigkeit nur mit Blick auf besondere Beziehungsformen bestimmt werden kann? Es geht um gerechtigkeitskonstitutive Beziehungen wie Staat, Nation oder Gemeinschaft. Demnach kann Gerechtigkeit nur unter Mitgliedern einer Gruppe mit einem gemeinsamen Bezugspunkt diskutiert werden. Es bedarf einer gemeinsamen Identität, Sprache, Geschichte, Kultur und/oder Politik, um ein kollektives Selbst- und Weltverständnis zu entwickeln, also ein Selbstverständnis, das für die Akzeptanz gerechter Umverteilungs- und Beteiligungsprinzipien unentbehrlich ist, aber auch ein Weltverständnis, das den abstrakten Prinzipien und Gütern der Gerechtigkeit eine geteilte Bedeutung gibt (S. 20).
Tatsächlich scheint eine universelle, kosmopolitische Anwendung der Gerechtigkeit vielen Autorinnen und Autoren schwierig ohne Bezug zu einer handlungsmächtigen Institution. In der Debatte wurde deswegen auch von denjenigen, die die kulturelle Relativierung der Gerechtigkeit nicht teilten, akzeptiert, dass Gerechtigkeit in Relation zu Institutionen bestimmt werden muss. Das Problem folgte auf dem Fuß: Was bleibt dann von globaler Gerechtigkeit? Ist Gerechtigkeit demnach eine Sache der Staaten und kann es eine globale Aufgabe sein, Übergriffe von Staaten auf andere “achtbare“ Staaten zu verhindern?
Charles R. Beitz warnt vor diesem Schluss: Macht sei bereits in der globalen Arena vorhanden, wirtschaftliche und politische Strukturen würden direkt auf das Leben des Einzelnen einwirken. Gerechtigkeit müsse somit sehr wohl global thematisiert werden. Das Problem freilich ist, dass diese globalen Machtstrukturen jenen auf nationalstaatlicher Ebene nicht gleichen.
Von einer anderen Seite wird das Bemühen um globale Gerechtigkeit grundsätzlich in Frage gestellt. Amartya Sen (vgl auch Pro Zukunft 4/2010) wendet sich gegen den Entwurf eines Ideals der Gerechtigkeit. „Sollte die Gerechtigkeitstheorie diskutieren, was an und für sich gerecht ist …, oder sollte sie ihre Gerechtigkeitskonzeption von Anfang an daran orientieren, was machbar ist, und sich darauf konzentrieren, was relativ zum Status Quo gerechter ist? Ist nicht eine vergleichende und problemorientierte Gerechtigkeitstheorie auf der globalen Ebene attraktiver als ein kaum zu bestimmendes Gerechtigkeitsideal? (S. 24)
Der Band enthält Beiträge von John Rawls, Charles R. Beitz, Jürgen Habermas und vielen anderen. Die Auswahl ist gelungen, die Einleitung führt vorzüglich in die Debatte ein.
Globale Gerechtigkeit. Schlüsseltexte zur Debatte zwischen Partikularismus und Kosmopolitismus. Hrsg. v. Christoph Broszies … Berlin: Suhrkamp, 2010. 480 S., € 16,- D], 16,50 [A], sFr 28,-
ISBN 978-3-518-29569-4