Stare haben die Angewohnheit, immer wieder zu ihren alten Nistplätzen zurückzukehren. Um ihr Nest gegen Schädlingsbefall zu schützen, kleiden sie es mit Pflanzenblättern aus, die insektizide Substanzen enthalten. Genauso gehen die Stare in Nordamerika vor. Aber obwohl sie erst vor 100 Jahren von Europa aus in diese Region vorgedrungen sind, haben sie dort in kürzester Zeit eine Vorliebe für Pflanzenarten entwickelt, die dort heimisch sind. Offensichtlich wissen sie genau, welche für ihre Zwecke geeignet sind und welche nicht. Hierfür gibt es nur eine schlüssige Erklärung. Die Stare müssen eine „gute Nase“ haben.
Vögel und Menschen haben eines gemeinsam: Ihrem Geruchssinn traut man nicht viel zu. Völlig zu Unrecht – behauptet der südafrikanische Biologe und Anthropologe Lyall Watson. Menschen sind sogar ausgesprochen gut im Wahrnehmen, Unterscheiden und Wiedererkennen von Gerüchen. Sie bemerken es nur nicht, weil es dem Bewusstsein weitgehend verborgen bleibt, wie das Gehirn Geruchsinformationen verarbeitet und welche Schlüsse es aus ihnen zieht. Aber obwohl Menschen eigentlich geborene Riechkünstler sind, sind sie sich ihrer Fähigkeiten nach wie vor kaum bewusst und machen kaum Gebrauch von ihnen. Dabei könnten sie ohne weiteres am Geruch erkennen, wer mit ihnen blutsverwandt ist und wer für sie als Sexualpartner in Frage kommt. Sie könnten Krankheiten und Gefahren wittern und allein durch Schnüffeln die Pflanzen finden, in denen Wirkstoffe gegen Krankheiten stecken. Und unter bestimmten Umständen könnten sie auch riechen, was andere gegessen, wo sie sich zuletzt aufgehalten, welchen Beruf sie haben und ob es regnen wird oder nicht.
Das alles wird in erster Linie ermöglicht durch das winzige und unscheinbare, von der Wissenschaft erst kürzlich wiederentdeckte Jacobson-Organ, das sich beim Menschen an der Nasenscheidewand befindet. Anders als das olfaktorische System, das für flüchtige Gerüche ohne feststehende Bedeutung zuständig ist, ist das Jacobson-Organ ganz auf die eindeutigen Botschaften der geruchlosen Pheromone ausgerichtet. Das Jacobson-Organ eröffnet einen direkten Zugang zu dem universalen chemischen Kommunikationssystem, das alle Lebewesen miteinander verbindet – die Pflanzen eingeschlossen. Denn auch Pflanzen können Signale aussenden und sich gegenseitig vor Gefahren warnen.
Lyall Watson lässt sich manchmal zu waghalsigen Thesen hinreißen. Aber was er hier schreibt, gehört zum Besten, was jemals über den Geruchssinn und seine Ursprünge und Funktionen geschrieben worden ist. Ein bahnbrechendes Buch. F. U.
Watson, Lyall: Der Duft der Verführung. Das unbewusste Riechen und die Macht der Lockstoffe. Frankfurt/M: S. Fischer,: 2001. 284 S., DM 38,- / sFr 35,- / öS 277,-