Chemie im Büro - die Illusion "gesunder Arbeitsplatz"

Ausgabe: 1988 | 2

Etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen - in Deutschland sind es 14 Millionen - lebt in der Überzeugung, einen sauberen Arbeitsplatz zu haben, und an der Schreibmaschine oder am Bildschirm zumindest von den unmittelbaren Schattenseiten zivilisatorischer Vergiftung verschont zu sein. Während Vertreter der Staatsanwaltschaft oder der schreibenden Zunft allenfalls in den Chefetagen Fällen moralischer Umweltverschmutzung auf der Spur sind, macht sich die sprichwörtlich fleißige Bürokraft an der Nebenfront im Dunstkreis von Formaldehyd und polychlorierten Biphenylen (PCS) ans Tageswerk. Dabei schreibt sie, vom Kunstlicht des klimatisierten Großraumbüros ausnahmsweise nur durch geringfügige Kopfschmerzen geplagt, auf blütenweißem Papier - für dessen Herstellung man 13 Mal soviel Frischwasser benötigt wie für vielfach gleichwertiges Altpapier; sie unterstreicht mit leuchtend giftigen Faserschreibern und korrigiert mit jenem hilfreichen Lack, der zwar Fehler verzeiht, aber die mutmaßlich krebserregende und erbgutverändernde Substanz 1,1,1-Trichlorethan enthält.

Noch mehr gefällig? Der wißbegierige Leser findet in dieser sorgsam zusammengestellten chemischen Inventur des Büroalltags eine Fülle ernüchternder Informationen, die jeden Gedanken an eine biologisch gesunde Arbeitsatmosphäre als Illusion entlarvt. Oder kennen Sie etwa ein Büro mit drei bis vier Abfallbehältern, um Papier, Korrekturbänder, Plastik und Batterien gesondert zu sammeln? Die beiden Autoren geben eine Fülle von Vorschlägen und Anregungen, wie ein herkömmliches Büro Schritt' für Schritt nach ökologischen Kriterien "umgerüstet" werden könnte; sie zeigen und rechnen vor, daß eine gesunde Atmosphäre, in der man sich während vollen Berufslebens etwa 80.000 Stunden aufhält, nicht unbedingt an hohe Investitionen gebunden ist: sehr oft genügt es, liebgewonnene Gewohnheiten aufzugeben, um einen entscheidenden Beitrag zum persönlichen Wohlergehen und zur Entlastung der strapazierten Natur zu leisten.

Der Preis der Aufklärung hat nur zu oft einen bitteren Beigeschmack. Zwar vermeiden die Autoren jeden pädagogisch-moralisierenden Tonfall, und doch fühlt man sich als "Schreibtischtäter" gleichsam auf frischer Tat ertappt. Es ist, als hätte man jahrelang mit gutem Gewissen aus einer Quelle getrunken, von der man erfährt, daß sie vergiftet ist.

Fischer, Claudia und Reinold: Chemie im Büro. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1988.. 224 S, DM 26,- / sfr 22,- / öS 202,80