Alter und Altern als Zukunftsproblem

Ausgabe: 1994 | 1

"Alte Menschen sind entweder starrsinnig und senil oder weise und gütig" - diese Polarität ist nur eines der vielen Vorurteile, die zum Zerrbild alter Menschen in der Gesellschaft beitragen. Zwischen dem 'agilen grauen Panther und der gebrechlichen alten Dame im Schaukelstuhl liegt die ganze Bandbreite von Alter bzw. von Altern. Der Kultur- und Sozialwissenschafter Heinz Heer und der Zellbiologe Mathis Brauchbar stellen sich in der Zusammenschau von Biomedizin, Psychologie und Gesellschaftspolitik der Wandlungsdynamik des Alterns am Ende des 20. Jahrhunderts.

Der kritische Blick der Autoren wandert zunächst in die gesellschaftlichen Sprachschubladen: "Senioren", "junge Alte", "alte Alte", "Hochbetagte" sind nur einige Beispiele dafür, wie unpräzise und verschleiernd die gängigen Bezeichnungen sind. Die Gesellschaft schwankt gegenüber der veränderten Altersstruktur der Bevölkerung zwischen Panik - im Hinblick auf die zukünftigen Belastungen - und Euphorie über den Zugewinn an Erfahrungen und Wissen. Die Politik für Alte ist heute noch immer eine Politik ohne Alte; dem steht die Tatsache gegenüber, dass etwa im Jahre 2030 ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein wird: Sozialorganisationen, Ärzte, Ämter und nicht zuletzt die eigenen Nachkommen glauben heute schon zu wissen, was "ihre" Alten morgen brauchen bzw. wollen werden.

Die beiden Autoren zeigen einerseits Missstände auf, verweisen andererseits auf lebbare Alternativen: das Altenproblem ist elementarer Bestandteil des Zukunftsproblems überhaupt. Den "musterhaften" Alten gibt es ebensowenig, wie "die Alten" eine kulturelle Subgruppe darstellen. Das kalendarische Alter hat immer weniger zu bedeuten, Alter kann nicht mehr isoliert, sondern muss als Teil des sinnvoll gestaltbaren Lebenslaufes gesehen werden: mit allen Gefahren - z.B. der Vereinzelung - und Chancen. Die Dynamisierung des Alters bzw. Alterns ist ein Gesellschaftsprozess wie die Zukunft des Alters die Zukunft der Gesellschaft ist.

Der zum gleichen Thema erschienene Band von Hans Mahl: Die Altersexplosion. Droht uns der Krieg der Generationen? Stuttgart: Kreuz-Verl., 1993. 239 S. liefert eher eine plakativ gestaltete Sammlung von Zitaten und kurzgefassten Stellungnahmen von Politikern, Medizinern, Demoskopen und Soziologen. Hier ist ein Problem zwar angerissen, nicht jedoch angepackt.

C.R. 

Brauchbar, Mathis; Heer, Heinz: Zukunft Alter. Herausforderung und Wagnis.

München: Artemis, 1993. 366 s. DM 40,-/sFr 34,-/ÖS 311