Es ist heute schon fast eine Binsenweisheit, dass die Digitalisierung sowohl Erleichterungen als auch immense Gefahren in sich birgt. Anders als bei den bisherigen Innovationen – von der Erfindung des Buchdrucks bis zur Eisenbahn, die wir alle trotz gegenteiliger Warnungen, weitgehend unbeschadet überstanden haben – geht es bei der totalen Auto- matisierung diesmal um viel mehr. Der pessimistische Blick des Wirtschaftsjournalisten und Herausgebers der Harvard Business Review, Nicholas Carr, sagt uns, dass die menschlichen Folgen dieser Automatisierung gravierend sein werden. Er meint gar, wir laufen Gefahr, uns dabei gleich selbst mit abzuschaffen. Carr wählte nicht von ungefähr den vielsagenden Untertitel: „Wo bleibt der Mensch, wenn Computer entscheiden?“ Und er illustriert dies gleich zu Beginn mit einer dramatischen Meldung: Am 4. Januar 2013 hat die Bundesluftfahrtbehörde der USA einen „Sicherheitshinweis für Piloten“ an alle US-amerikanischen sowie weitere kommerzielle Fluggesellschaften gesendet, in der vor dem übermäßigen Einsatz des Autopiloten gewarnt wird, da dies zu einer „Verschlechterung der Fähigkeit von Piloten führen könne, das Flugzeug schnell aus einem unerwünschten Zustand zu führen“ (S. 11).
Wir sind dabei, auch das autonome Automobil zu entwickeln. Wie es aussieht, wird uns in naher Zukunft ein Autopilot von A nach B steuern. Und nicht ganz unwahrscheinlich wird irgendwann in den nächsten Jahren eine Warnung an die Autohersteller ergehen, die AutofahrerInnen doch wieder mehr zum manuellen Fahren anzuhalten, um das Gefahrenpotenzial zu minimieren. Weitere Beispiele beschäftigen sich mit dem Gesundheitswesen – immer mit dem warnenden Zeigefinger –, denn ein erfahrener Arzt sei eben nicht so einfach durch den Computer zu ersetzen. Auch die Automatisierung der Orientierung mittels GPS-Empfänger „behindert bei der Durchreise das Erleben der physischen Welt“ (S. 156), und kann bis zum Verlust der Navigationsfähigkeiten führen. „Unsere Wahrnehmung und Interpretationsfähigkeit, vor allem von naturbelassenem Gelände, hat bereits stark nachgelassen“, ist sich der Publizist sicher (S. 160). Er befürchtet sogar, dass die Automatisierung der Routenplanung uns von der Umwelt, die uns geformt hat, entfernen könnte. Deshalb sollten wir uns fragen „Wie weit wollen wir uns von der Welt zurückziehen?“ (S. 167)
Der Autor wird nicht müde zu warnen, die Automatisierung könne sogar „unseren Fähigkeiten und unserem Leben Schaden zufügen“ (S. 12). Außerdem verändere sich die Technologie immer schneller als sich der Mensch anpassen könne. „Das bedeutet, unsere Software und unsere Computer werden unter unserer Führung immer neue Wege finden, uns zu übertrumpfen – schneller, billiger und besser arbeiten.“ (S. 59) Deshalb sei es unsere oberste Pflicht, „uns jeder Macht, sei sie institutionell, kommerziell oder technologisch, zu widersetzen, die unsere Seele entkräftet oder schwächt“ (S. 278), und der Automatisierung Grenzen zu setzen. Auch lassen sich die verursachten Probleme durch die Automatisierung nicht mit noch mehr Software lösen. Die Entscheidungen, die wir treffen oder eben nicht treffen, welche Aufgaben wir Computern überlassen und welche wir selbst behalten, seien nicht nur praktische oder wirtschaftliche, mein Carr, sondern vor allem moralische Entscheidungen. „Sie formen unser Leben und den Ort, den wir uns in der Welt bereiten.“ (S. 31) Alfred Auer
Carr, Nicholas: Abgehängt. Wo bleibt der Mensch, wenn Computer entscheiden? München: Hanser, 2014. 317 S., € 19,90 [D], 20,50 [A] ; ISBN 978-3-446-44032-6