Wendell Berry

Die Erde unter den Füßen

Ausgabe: 2020 | 2
Die Erde unter den Füßen

Über den Süden der USA kursiert in Europa so manches bösartige Klischee. Doch die oberflächlichen Vorurteile gegen „Hillbillies“ und „Rednecks“ verstellen leicht den Blick auf einen Umstand, den hellsichtigere Soziologen des Südens betont haben: Unter allen Gebieten der USA waren die Südstaaten – in den Worten von George H. Nash – stets die „am wenigsten ‚amerikanische‘“ Region, gerade weil sie gegenüber dem Siegeszug des industriellen Kapitalismus am skeptischsten eingestellt waren. Mit den Southern Agrarians, einem Literatenkreis aus Nashville (Tennessee), hat der Süden im 20. Jahrhundert eine kulturkritische Strömung hervorgebracht, die von manchen als eine Vorläuferin der Umweltbewegung gesehen wird. Ein geistiger Nachfahre dieser Agrarier ist Wendell Berry, ein Schriftsteller, der in Kentucky auf einer Farm lebt und sich von dort aus für ökologischen Landbau einsetzt.

Der vorliegende Band versammelt Texte, die einen Überblick über Berrys Philosophie und sein politisches Engagement geben. Zu den Leitmotiven gehören dabei sein Plädoyer gegen die Ressourcenverschwendung, in der er „das oberste Prinzip unserer Wirtschaftsordnung“ (S. 10) erblickt, darüber hinaus seine Kritik der Wachstumsideologie, allem voran aber sein Kampf für eine lokale, biologische Landwirtschaft und gegen die industriellen Methoden der großen Agrarkonzerne. Seine ökonomische und politische Praxis folgt bei ihm unmittelbar aus den Grundlagen einer Weltsicht, in der die Einhaltung des gesunden Maßes – nach dem Grundsatz „Think Little!“ (S. 16) – eine ebenso bedeutende Rolle spielt wie das Denken in natürlichen Kreisläufen (S. 35ff.). Berry beschreibt sich in agrarischen Angelegenheiten als einen „Traditionalisten“ (S. 59) und zitiert auch immer wieder aus traditionalen Schriften aus West und Ost – hierin interessanterweise dem Prince of Wales nicht unähnlich, der seine Liebe für biologische Landwirtschaft ebenfalls aus solchen Quellen ableitet.

Der landwirtschaftliche Standard

Den wichtigsten Text der Publikation bildet Berrys Essay „Der landwirtschaftliche Standard“ (S. 44ff.), in dem seine Verbundenheit mit der Politischen Theorie der Agrarier am deutlichsten wird: Beschworen werden nicht nur die Säulenheiligen dieser Denkrichtung (von Vergil bis Thomas Jefferson), sondern auch deren Grundgedanken. „Wer kein Land besitzt, hat gar nichts“ (S. 53), lautet die Devise, denn Berry geht davon aus, dass wahre Freiheit und Sicherheit letztendlich an den Besitz von landwirtschaftlich nutzbarem Boden und die damit verbundene Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, gebunden ist (S. 52ff.). Klar ersichtlich wird dabei auch, in wem die Agrarierinnen und Agrarier ihren Hauptgegner sehen: es ist das „industrielle Denken“ und dessen ökonomische Logik, die so ganz anders ist als die Logik der Erde und des Landes (vgl. S. 48f.).

Die politische Gegenkultur

Fast alle der im Buch aufgeworfenen Fragen ragen in die Sphäre des Politischen hinein. In die polarisierte politische Landschaft der USA lässt sich Berry aber nicht ohne weiteres einordnen. Seine agrarische Kritik der „totalen Ökonomie“ (S. 134) bringt ihn dazu, kapitalistische und sozialistische Doktrinen gleichermaßen zu verwerfen; die zwei Systeme, führt er aus, würden sich weitaus weniger voneinander unterscheiden, als man für gewöhnlich annimmt. Berry sieht in beiden dieselbe materialistische Grundhaltung und einen ähnlich gelagerten Fortschrittsglauben am Werk – also genau jenes Denken, das in die ökologische Krise geführt hat (S. 123ff.). Mit dieser Positionierung quer zu den Bruchlinien des politischen Mainstreams ist Berry wohl als ein „Crunchy Con“ (Rod Dreher) anzusehen – so nennt man in den USA die Vertreter einer Gegenkultur, die einen nachhaltigen Lebensstil mit traditionellen Werten verbinden möchten. Das Bemerkenswerte an den Schriften jener Strömung ist, dass sie sowohl die konventionelle politische Rechte als auch die Linke dazu zwingen möchte, über Widersprüche im jeweils eigenen Verhalten nachzudenken. Auch in den Texten von Berry scheint es ein wichtiges Anliegen zu sein, den Finger auf solche wunden Punkte zu legen: Einem Konservatismus, der den Niedergang der Tradition beklagt, wird die Frage nahegelegt, ob nicht gerade die Unterstützung einer „Wirtschaftsordnung, die auf der Zerstörung ihrer eigenen Grundlagen beruht“, im Widerspruch zu den von ihm geschätzten Traditionen steht (S. 125f.).

Der politischen Linken hingegen scheint Berry die Frage mitgeben zu wollen, ob nicht ihre Ideologie eine heimliche Komplizin des Systems geworden ist, das zu bekämpfen sie vorgibt (S. 124f.). Diese Denkanstöße kennenlernen zu können und sie zu nutzen, um den jeweils eigenen Standpunkt zu schärfen, ist ein guter Grund, sich mit der Politischen Theorie eines Agrariers wie Berry auseinanderzusetzen.