Cool down

Ausgabe: 2010 | 2

Auch Felix Ekardt kritisiert den zur Disposition stehenden westlichen „Way of Life“; sein Zugang ist jedoch jener einer globalen Ressourcengerechtigkeit. „Gerechtigkeit meint ganz allgemein die Richtigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung“, so Ekardt, Professor für Umweltrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock, pointiert in seinem Buch „Cool down. 50 Irrtümer über unsere Klimazukunft“. Und etwas genauer: „Gerecht ist eine Gesellschaft dann, wenn in ihr jeder nach eigenen Vorstellungen leben kann und alle anderen das auch können – wenn also jeder gleichermaßen (!) ein so bezeichenbares Recht auf Freiheit hat und Freiheitskonflikte gewaltenteilig-demokratisch gelöst werden.“ Gerecht sei menschliches Zusammenleben also, „wenn es die Menschenrechte sowie bestimmte die Freiheit unterstützende Arrangements optimal verwirklicht.“ (alle Zitate S. 116f)

 

Was hat dies nun mit Klimawandel und Klimaschutz zu tun? Der Klimawandel schadet, so die Argumentation von Ekardt, „langfristig massiv künftigen und weit entfernt lebenden Menschen, die wenig für diesen Klimawandel können“. Wir untergraben damit „die Selbstbestimmung und die Freiheit aller Menschen hierzulande in Zukunft sowie in anderen Erdteilen.“ (ebd.) Klimagerechtigkeit bedeute demnach, künftigen Generationen und Menschen in anderen Erdteilen ihre Lebenschancen nicht zu beschneiden. Nimmt man die wissenschaftlichen Erkenntnissen der Klimaforschung ernst – Ekardt bezieht sich dabei auf die Prognosen des IPCC –, dann bräuchten wir eine drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen: von 60-80 Prozent bis 2050 im Westen geht die Politik aus, das wären maximal 2 Tonnen CO2 jährlich pro Erdbewohner als Ziel bis 2050: „Aktuell sind die Amerikaner aber bei 20, die Deutschen bei 11, die Chinesen bei 4 und die Afrikaner bei 0,5 Tonnen CO2.“ (S. 15) Selbst wenn man 2° C globale Erwärmung hinnehmen würde, bräuchte man, so Ekardt weiter, in den Industrieländern nach Meinung der Fachleute quasi eine „Null-Emissions-Wirtschaft“. Denn nur „etwa 0,5 Tonnen pro Erdbewohner wären jährlich auf Dauer verträglich.“ (S. 15f)

 

 

 

Wir sind „Klima-Talker“

 

Dass wir von diesem Ziel mehr als weit entfernt sind – weltweit sind die Klimagasemissionen seit 1990 um rund 40 Prozent gestiegen – ist allgemein bekannt. Ekardt benennt deutlich und gut nachvollziehbar die gegenwärtige Pattsituation: „Wir sind große ´Klima-Talker´, das Handeln der Politik, der Unternehmen und der Bürger ist aber unverändert lau. Wir verlieren uns in Prognosen und Katastrophenszenarien – und in unübersehbar kleinen, aber viel zu wenig effektiven klimapolitischen Schritten.“ (S. 11)

 

Konzepte für eine echte Klimawende, so die zentrale These des Buches, die über „vielschichtiges, aber oft wenig erfolgreiches Klein-Klein hinausgehen, und die Ursachenanalysen, warum die Menschheit blindlings in die größte Katastrophe ihrer Geschichte hineinläuft (und wie das zu ändern wäre), kommen zu kurz.“ (ebd.) Diese Lücke versucht Ekardt zu schließen, in dem er Klartext redet. Der Autor plädiert dafür, über die bisher „primär naturwissenschaftliche Katastrophendebatte“ hinauszukommen und einen „radikaleren, dabei stärker sozial, psychologisch, moralisch, rechtlich und ökonomisch ausgerichteten – und vernetzten – Ansatz“ zu verfolgen (S. 12). Er beleuchtet dabei die Dilemmata kollektiver Gemeingüter, die keine Anwaltschaft haben, die motivationspsychologischen Probleme fehlender Regeln bzw. falscher Anreizsysteme, die vielen Beschwichtigungs- und Verzögerungsstrategien sowie das Fehlen der notwendigen Ernsthaftigkeit hinsichtlich konkreter Maßnahmen. Wir seien „gefangen in gewohnt-bequemen kulturellen und wirtschaftlichen Mustern (Autos sind eben ´üblich´) und fixiert auf kurzfristigen ökonomischen Fortschritt.“ Uns fehlt der „emotionale Zugang zum durch uns verursachten Leid in fernen Ländern und bei künftigen Generationen.“ Nicht zuletzt: „Im Zweifel sind wir Egoisten.“ (S. 22) Ekardt ist überzeugt, dass aufgrund der psychologischen Barrieren nur verbindliche globale Vereinbarungen, die weit über Kyoto („Nullrunde“) hinausgehen, verbunden mit der Herausstellung des Eigennutzen aller, den Umschwung bringen können: „Globales Handeln ist angesagt – aus schlichtem ökonomischen und friedenspolitischem Eigennutzen und weil wir andernfalls die Gerechtigkeit in epochalem Ausmaß mit Füßen treten.“ (S. 21)

 

Klare Begrenzungen geben Halt

 

Im Nationalstaat sei der Kapitalismus erst an dem Punkt für die breiten Massen vorteilhaft geworden, „als es (im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer politischen Regelsetzung und damit zur sozialen Marktwirtschaft“ gekommen sei (S. 110). Genau eine solche Rahmensetzung sei nun, so die einleuchtende Argumentation des Umweltrechtlers, auf globaler Ebene nötig, da eine nationalstaatliche Politik eine „globale, mobile Ökonomie“ nur mehr unvollständig einhegen könne (S. 111). Allein diese neuen globalen und für alle transparenten Anreizstrukturen würden nach Ekardt den geforderten Wandel bewirken, dies ohne weitere Ver- und Gebote, sondern geregelt über ökologisch faire Preise. Dass dabei das herkömmliche Wachstumsprinzip der ressourcenintensiven Volkswirtschaften überwunden und andere Lebenszufriedenheit herstellende Parameter als die gegenwärtige Konsumfixierung in den Mittelpunkt treten würden, liegt für den Autor dabei auf der Hand. Denn gerade der Wachstumszwang und die „scheinbar geniale Idee eines unregulierten, freien Spiels der Kräfte“ würden systemisch in den Kollaps führen. Doch: „Klare Begrenzungen, wie sie heute unpopulär sind, zwängen zwar ein – sie können aber auch einen gewissen Halt geben. Auch das gehört zur Freiheit. Und dass wir bereit sind, zu sehen, wenn unser Verhalten die Freiheit anderer zerstört.“ (S. 174). H. H.

 

Ekardt, Felix: Cool down. 50 Irrtümer über unsere  Klima-Zukunft. Freiburg: Herder, 2009. 192 S., € 9,95 [D], 10,30 [A], sFr 17,50ISBN 978-3-451-06186-8