Zwei Grad mehr für Deuschland

Ausgabe: 2013 | 4

Das Buch beginnt reißerisch: Die Titelseite von „Zwei Grad mehr in Deutschland“, die in einem signalroten Querbalken „Das Szenario 2040“ ankündigt, zeigt ein apokalyptisch anmutendes Bild eines bleigrauen Himmels, einer Autobahn und einer Nebelbank – oder ist es eingewehter Staub von einem trockenen Feld? Man schlägt das Buch auf und wird (zumindest wenn man an ausführlicher und seriöser Information interessiert ist) angenehm enttäuscht. Was die Reputation der beiden Herausgeber verspricht (Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und gehört dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung an, Harald Welzer ist Professor an der Universität Flensburg und lehrt auch in St. Gallen, daneben leitet er die von ihm gegründete Stiftung Futurzwei), wird von den Beiträgen gehalten. „Zwei Grad mehr in Deutschland“ ist die erste interdisziplinäre Studie, die versucht, die Auswirkungen einer um zwei Grad gestiegenen Mitteltemperatur in Deutschland mit Zeithorizont 2040 auf die Umwelt, die Lebensbedingungen und die dadurch erforderlichen Änderungen des Lebens der Menschen aus ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Perspektive zu beschreiben. Wer sich eine leicht lesbare, sozusagen essayistische Darstellung des künftigen Lebens mit einer moderaten (denn aus heutiger, den neuen 5. Sachstandsbericht des IPCC kennenden, Perspektive erscheint eine mittlere Erwärmung um zwei Grad eher am unteren Ende des Erwartbaren angesiedelt zu sein) Erwärmung erwartet, wird freilich enttäuscht: sachlich, nüchtern, fast kühl werden die Grundlagen und Szenarios sowie die möglichen Auswirkungen auf beispielsweise Niederschlag, Wasserhaushalt und Wald beschrieben, und diese Auswirkungen scheinen auf den ersten Blick nicht einmal aufregend. Dann, im fünften Abschnitt, werden die erwartbaren Folgen für die Gesellschaft, deren Infrastrukturen und Techniken und Institutionen bis hin zu Lebensalltag und Gesundheit beschrieben. Hier und in den folgenden Kapiteln wird deutlich: es wird Gewinner und Verlierer geben, und die Gesellschaft wird anhand dieser Bruchlinie eine Spaltung erfahren. Diese Bruchlinie kann bei rechtzeitigem und richtigem Reagieren, wie es im abschließenden Abschnitt „Anpassung an den Klimawandel in Deutschland“ skizziert wird, ein Haarriss bleiben, oder, wenn zu spät oder falsch reagiert wird, tatsächlich zu einer Spaltung der Gesellschaft mit allen Konsequenzen führen. Als – nunmehr tatsächlich essayistische – Zugabe werden zwei Varianten der Zukunft als Berichte aus dem Jahr 2040 nachgereicht. Beiden liegt dasselbe Klimaszenario zugrunde, nur wurde einmal eine lernfähige und anpassungsfähige Gesellschaft und einmal ein gesellschaftliches und institutionelles Handeln, wie es uns leider zu vertraut ist, zugrunde gelegt. Das Fazit der Autoren lautet: Deutschland (und das gilt cum granu salis auch für Österreich) kann sich durchaus an eine mittlere Erwärmung um zwei Grad anpassen, wenn institutionell rasch und richtig reagiert wird und wenn die Menschen gewillt sind, ihr Leben an die geänderten Umstände anzupassen und gelassen darauf zu reagieren, dass „der gewohnte Ablauf des Alltages gelegentlich an der einen oder anderen Stelle beeinträchtigt ist“ (S. 288). Es kann aber, wenn mehrheitlich auf der Fortführung der gewohnten Lebensstile bestanden wird, auch ganz anders kommen. Und leider, so ist man versucht zu kommentieren, gibt es in diese Richtung wenig Anlass zu Hoffnung. Anzumerken ist, dass in dieser Bestandsaufnahme Deutschland im Wesentlichen als isoliertes System betrachtet wurde – massive Änderungen beispielsweise im wirtschaftlichen Gefüge, militärische Auseinandersetzungen, die auf Deutschland zurückwirken, Rohstoffkrisen oder massive Flüchtlingsströme wurden weder unterstellt noch betrachtet. Liest man das Buch daraufhin nochmals aufmerksam, auch auf das zwischen den Zeilen Stehende achtend, und schaut sich die Daten und Karten nochmals unter diesem Gesichtspunkt aufmerksam an, dann kommt man unschwer zum Schluss, dass in dieser Studie keinesfalls – auch dort nicht, wo massiv negative Konsequenzen angedeutet werden – schwarz gemalt  wird, im Gegenteil. Gunter Sperka                     

 

Zwei Grad mehr in Deutschland. Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird.

Hrsg. v. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe u. Harald Welzer.

Forum für Verantwortung. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2013. 320 S.,

€ 12,99 [D], 13,40 [A], sFr 19,50

ISBN 978-3-596-18910-6