Wir steigern das Bruttosozialglück

Ausgabe: 2013 | 2

Katalysatoren einer ökologisch-kulturellen Wende sind Projekte, in denen dieser Wandel exemplarisch erprobt wird und die Politik und Mainstream-Wirtschaft zeigen, dass andere Wege denk- und machbar sind. Diese bieten zugleich die Chance, aktiv an der Zukunftsgestaltung mitwirken zu können. Denn in einer immer komplexer und schneller werdenden Welt steigt das Gefühl, dem Geschehen hilflos ausgesetzt zu sein und selber nichts tun zu können. Beispiele eines anderen Wirtschaftens und Lebens, die helfen neue Zukunftsperspektiven zu erschließen, schildern die im Folgenden vorgestellten Bände.

 

Annette Jensen hat acht Jahre lang bei der „taz“ gearbeitet und dort das Ressort Wirtschaft und Umwelt mitbegründet. Seit 1998 ist sie als freie Journalistin für zahlreiche Medien tätig und weiß als „Nachhaltigkeitsexpertin“ Bescheid, was derzeit so alles schief läuft. In ihrem Buch „Wir steigern das Bruttosozialglück“ hält Jensen damit nicht hinter dem Berg und beschreibt etwa die Macht der großen Energiekonzerne, die an veralteten Lösungsstrategien festhalten, oder die nach wir vor dominanten Mobilitätsstrukturen, die durch tägliche Staus und Transportlawinen die Lebensqualität der öffentlichen Räume zerstören und überdies dem Klima einheizen. Sie kritisiert die globalisierte industrielle Nahrungsmittelproduktion, die Naturzerstörung ebenso in Kauf nimmt wie Tierleid und obendrein nicht in der Lage ist, den Hunger in der Welt zu vertreiben, oder das Versagen eines Finanzsystems, das immer mehr zum Casino für waghalsige Spekulanten verkommen ist. Jensen trägt zusammen, was wir insgeheim wissen und doch immer wieder verdrängen. Dass sie diese Fehlentwicklungen nicht verschweigt, aber – und darauf verweist ja der Buchtitel – diesen ganz konkrete Beispiele eines anderen Wirtschaften und Lebens entgegensetzt, macht ihre Reportagen so wertvoll.

 

In fünf Kapiteln porträtiert die Journalistin solche Neuansätze; überschrieben sind sie mit „Energie – David gegen Goliath“ (in Anspielung an das Beharrungsvermögen dezentraler Energieprojekte, die Wind, Wasser, Biomasse und Sonne nutzen, gegen die großen Konzerne), „Verkehr – Weitsichtige auf kurzen Wegen“ „Produktion – der Ursprung der Alltagsgegenstände“, „Landwirtschaft – Anders ackern“ sowie „Banken – das Geld im Dorf lassen.“ Dargestellt werden mittlerweile bekannte und auch weniger bekannte Initiativen wie Autofreies Wohnen, Kommunen, die sich dem „shared space“-Prinzip verschrieben und Verkehrsschilder aus dem Ort verbannt haben, oder Regiogeld-Bewegungen.

 

Als exzellente Autorin beschreibt Jensen insbesondere Menschen, Pioniere und Pionierinnen, die sich zwar nicht die Rettung der Welt auf die Fahnen geschrieben haben und – so wirken zumindest die Reportagen – niemanden bekehren wollen, die aber in der selbst gewählten neuen Gemeinschaft von Ähnlich- oder Gleichgesinnten aus dem Trott aussteigen und etwas Neues erproben wollen. Dabei können durchaus unterschiedliche Pfade eingeschlagen werden. So werden im Bereich Nahrung etwa selbstorganisierte Erzeuger-Verbrau-cherInnen-Initiativen wie die in Bayern ansässige Tagwerk-Genossenschaft, die mittlerweile 500 Abnehmer und 100 Erzeuger vernetzt, oder die Regionalwert AG im Raum Freiburg, in der ein Demeter-Vertriebssystem auf Basis einer Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von mittlerweile 1,7 Mio. Euro beschrieben. Daneben stehen Experimente wie der 101 Hektar große Buschberg-Hof in Fuhlenhagen nahe Hamburg, für den AbnehmerInnen gestaffelt nach ihrem Einkommen (Selbsteinschätzung) jährlich einen bestimmten Betrag einzahlen und dann das ganze Jahr über mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt werden. Etwa 400.000 Euro werden im Jahr benötigt, um die 300 AbnehmerInnen und die 40 am Hof Arbeitenden, darunter auch zwölf psychisch Kranke ernähren zu können. Mit „Rein in die Kartoffeln, raus aus dem Kapitalismus“ ist ein Projekt umschrieben, in dem auf dem Karlshof rund 80 Kilometer nördlich von Berlin Kartoffeln für Wohngemeinschaften und eine „Volxküche“ zum „Nulltarif“ angebaut werden. JedeR gibt als Gegengabe, was machbar ist. Selbstverständlich fehlen auch die neuen Bewegungen des Stadtgärtnerns – als Urban- oder Guerilla-Gardening bekannt – nicht.

 

Alternativen sind machbar

 

Ob Klimawandel, eine Milliarde Hungernde, wachsende Atommüllberge, ein rasend schneller Verlust der biologischen Vielfalt oder ein übermächtiger Finanzsektor – Probleme habe die Menschheit genug, so die Journalistin. Die Buntheit der hier vorgestellten Ansätze und Akteure betrachtet sie dabei als große Chance. Dieses Nebeneinander sei nicht Ausdruck „einer jahrelangen Debatte über den richtigen Weg“. Vielmehr zeigten alle diese Menschen, „dass Alternativen nicht nur theoretisch denkbar, sondern machbar sind – und darüber hinaus oft sogar ausgesprochen lustvoll und beglückend.“ (S. 9f.) Im Zentrum steht dabei nicht mehr die simple Steigerung des Bruttosozialprodukts, sondern jene des Bruttosozialglücks – auch wenn dieses ja bislang offiziell nur im Himalaya-Staat Bhutan gemessen wird.

 

Der taz-Band „50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern“ beschreibt ebensolche Beispiele – von Strom in Bürgerhand über Regiogeld-Initiativen bis hin zu Migrationsprojekten. Dieses Buch zeigt nicht nur, dass Kraft im Zusammenwirken von Menschen entsteht, was weit über Öko-Konsum hinausweist, sondern dass auch soziale Aspekte berücksichtigt werden müssen, wenn die demokratische Umgestaltung der Gesellschaft(en) gelingen soll. H. H.

 

 

 

 Jensen, Annette: Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben. Freiburg: Herder, 2011. 238 S., € 16,95 [D], 17,50 [A], sFr 28,80 ; ISBN 978-3-451-30404-0

 

 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern. Hrsg. v. Ines Pohl. Frankfurt/M.: Westend, 2011. 192 S., € 12,95 [D], 13,40 [A], sFr 20,50 ; ISBN 978-3-938060-34-6