Wenn ein Mehr des Guten zum Schlechten wird

Ausgabe: 1988 | 1

Der "Abbau des Menschlichen" (Konrad Lorenz) ist uns geschehen. Riedl ist mit Lorenz der Meinung, daß die technokratische Massenzivilisation unser Überleben gefährdet. Der Autor erläutert diese Tatsache an Beispielen individueller und kollektiver Inhalte, Werte und Handlungen. Durch die größer werdende Vernetzung von Ursache und Folge-Wirkung fällt es uns immer schwerer vorauszusagen, wann ein Mehr des Guten zum Schlechten wird. (Vgl. dazu P. Watzlawick: Vom Schlechten des Guten.)

"Unsere viel zu einfache Vorstellung von Ursache und Wirkung hat uns übersehen lassen, daß 'wir dabei 'die Betrachtung dieser Welt ebenso lange vereinfachen mußten, bis es uns gelingen konnte, ein weniges von ihren Phänomenen nachzuahmen." Ein anschauliches Beispiel dafür ist für ihn auch die Ausschaltung der angeborenen, optisch kontrollierten Tötungshemmung durch Fernwaffen. Kritisch beleuchtet werden u.a. auch die Wirtschaftsplanung, das Patriarchat, Begriffe wie Lebensqualität oder die "Verhaustierung" des Menschen.

Vieles, so Riedl, kam in atemberaubende und lebensbedrohende Bewegung. "Was einmal lebenserhaltend wirken konnte, beginnt sich gegen uns selbst zu wenden." So wird ein Großteil der Intelligenz in unserer Zivilisation nicht zur Bedürfnisbefriedigung verwendet, sondern durch Erfindung von Mangelerscheinungen werden stets neue Bedürfnisse erzeugt. Die Gefahren einer weiteren Eskalation der Industriegesellschaften, der Rüstung und Zerstörung der Natur will Riedl durch den "Wiederaufbau des Menschlichen" mindern helfen. Er zeigt, "wie unsere Natur beschaffen ist und in welcher Weise einerseits das soziale Milieu unserer Zivilisation mit unserer Ausstattung wieder verträglich gemacht werden kann, und andererseits unser Weltbildapparat mit der Komplexität dieser Welt."

Gefordert sind das Lernen aus negativen Erfahrungen, Hilfe für den Staat zur Förderung von Langzeit-Werten, Bürgersensibilität, menschliche Werte des Wachstums sowie ein neues Maß der Lebensqualität. Soziale Gegebenheiten werden nicht mehr als "notwendige Konsequenzen von Zwängen der Zwänge aus anderen Konsequenzen" akzeptiert. Zum "Wiederaufbau des Menschlichen" sind vor allem der Abbau unübersichtlicher Institutionen und die Stärkung direkter Demokratie erforderlich.

Das dichte Netzwerk unserer Lebensbedingungen läßt die traditionellen Grenzen der Macht als überholt erscheinen. "Ich glaube, daß das Maß der Humanität einer Nation und die Chance des Wiederaufbaus des Menschlichen von der Bildung ihrer Bürger abhängt und vom unbehinderten, verantwortungsvollen und instinktsicheren Wirken zum mindesten ihrer Frauen und Mütter.“

Wie wenigen gelingt es Riedl, längst Gedachtes und Vertrautes so darzustellen, daß dem Leser ein "Aha-Erlebnis" und hoffnungsvolles Lesevergnügen bereitet wird. Doch wie so oft ist die "klügere und bessere Welt“ leichter auf dem Papier zu entwerfen als umzusetzen. Daß diese jedoch machbar ist, steht für Riedl außer Zweifel.

Riedl, Rupert: Der Wiederaufbau des Menschlichen. Wir brauchen Verträge zwischen Natur und Gesellschaft. München (u. a.): Piper, 1988.228 S DM 36,- / sfr 29,90/ ös 280,80.