Warum die Kleinen in einer Welt der Riesen überleben

Ausgabe: 1994 | 4

"Je größer die Weltwirtschaft, umso mächtiger ihre kleinsten Akteure." So lautet die Kernthese des prominenten amerikanischen Zukunftsforschers. In zahlreichen Variationen und stets mundgerechten Einheiten - ausführliche Reflexion, die beispielsweise auch die Beschäftigung mit dem Denken Leopold Kohrs erwarten ließe, ist seine Sache nicht - legt Naisbitt dar, dass Deregulierung, Harmonisierung und Demokratisierung die Triebkräfte ebenso weitreichender wie unabdingbarer Veränderung sind. Der AUR-Effekt (Ausgliedern, Umbauen, Reorganisieren) soll multinationale Unternehmen die Seele und die Eigenständigkeit von Kleinbetrieben einhauchen, "Strategische Allianzen" lassen ehemalige Konkurrenten zu Partnern werden.

Motor der globalen Veränderung, in deren Verlauf das Webmuster der Nationalstaaten wie auch der Politik neu entworfen wird - Naisbitt rechnet bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts mit weltweit 1000 „tribal“ begründeten basisdemokratisch strukturierten Ländern und einer von einem universalen Verhaltenscodex geprägten „neuen Politik" - ist die "Ware Information". Die Verschmelzung von Telefon, TV und PC sowie die Kombination von High Touch und High Tech werden das "globale Dorf" durch interaktive und multimediale Kommunikation Wirklichkeit werden lassen. Dieser Entwicklung korrespondiert das Anwachsen des Tourismus. Trotz Cyberspace und Datenautobahnen wird vor allem die Konzentration der Fluggesellschaften auf etwa acht weltweit agierende Anbieter die Branche boomen lassen. Globale Zuwachsraten von 6,1% pro Jahr und 144 Mio. neue Arbeitsplätze bis 2005 werden angenommen.

Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit der Zukunft des chinesisch-pazifischen Raums. Er spricht vom nahenden "Jahrhundert des Drachen", ortet Kanton, Schanghai und die Provinz Guongdong als die pulsierenden Zentren des Aufschwungs und weltweit an die 55 Mio. Auslandschinesen als Garanten dieser Entwicklung. Ebenso drastisch wie bedenkenswert fällt die Empfehlung an die USA aus, sich von Europa abzuwenden, um in Fernwest zu punkten. Dem alten Kontinent sagt Naisbitt eine Phase anhaltender Rezession - nicht trotz, sondern wegen der EU voraus und drängt zu tiefschneidenden (Sozial)Reformen; von Deutschland spricht er als "krankem alten Mann Europas", während auch Südamerika als Wertschöpfungspotential betrachtet wird.

Aus globaler Sicht spricht vieles dafür, dass sich die Welt so entwickelt, wie Naisbitt sie hier skizziert. Es ist dies positiv und befremdlich zugleich, denn bei aller Wertschätzung, die einer auf freiem Informationsfluss bauenden Weltgesellschaft der kleinen Einheiten entgegengebracht werden kann, vermisse ich doch das Bewusstsein endlicher Ressourcen und den angemessen Rekurs auf dieses Wissen.

W Sp.

Naisbitt, John: Global Paradox. Warum in einer Welt der Riesen die Kleinen überleben werden. Düsseldorf (u.a.): Econ, 1994. 392 S., DM 58,- / sFr 53,40/ ÖS 453