Der Zukunft und den Perspektiven „linken“ politischen Denkens in den Vereinigten Staaten widmet sich der Philosoph Richard Rorty, Vertreter der politischen Theorie des Pragmatismus, in seiner jüngsten Publikation. Ihr deutscher Titel führt schnell in die Irre: Nicht nationalkonservativer Patriotismus („Stolz auf unser Land“), sondern das Anknüpfen an fortschrittliche politische Traditionen soll im amerikanischen Original suggeriert werden: Achieving Our Country. Leftist Thought in Twentieth-Century America. In drei Essays geht Rorty diesem Thema nach. Freilich: Rortys Diktum, Voraussetzung phantasievollen politischen Denkens sei es – hinsichtlich des Patriotismus -, dass „der Stolz die Scham überwiegt“ (S. 9), kann immer noch zu missverständlichen, ja ärgerlichen Interpretationen einladen. Doch welche amerikanische Tradition evoziert jenen postulierten Stolz? Es ist die Tradition einer nichtmarxistischen, einer reformistischen Linken. Sie soll Kritik nicht als Selbstbezichtigung betreiben, sondern als Grundlage politischen Handelns betrachten. Gefordert wird eine Politik, die auf Demokratisierung, auf soziale Gerechtigkeit gerichtet ist, die das Gemeinsame über das Trennende stellt, eine säkularisierte Bürgerreligion, als deren Kronzeugen der Dichter Walt Whitman und der Philosoph John Dewey fungieren. Die reformistische Linke repräsentiert für Rorty ein breites Spektrum höchst unterschiedlicher Persönlichkeiten, zu denen Arthur M. Schlesinger und John Kenneth Galbraith genauso zählen wie Jesse Jackson und Martin Luther King, ja partiell sollen sogar die Präsidenten Wilson, Roosevelt und Johnson dazu gerechnet werden. Der Vietnamkrieg unterbrach nach Rorty die Tradition der reformistischen Linken, die um 1900 begann und bis 1964 reichte, als insbesondere eine radikale Studentenbewegung kein Reformpotenzial im bestehenden System mehr verorten konnte. Dies hätte den Umschlag der reformistischen Linken in eine kulturelle Linke bewirkt – ein Phänomen, das Rorty im ersten der drei Hauptessays an Beispielen der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur beispielhaft zu veranschaulichen sucht. Das daraus abgeleitete Plädoyer, die Linke dürfe den sozialen Protest nicht den rechten Demagogen überlassen, ist naheliegend und nicht zu bestreiten. Seine Charakteristik der kulturellen Linke bleibt demgegenüber klischeehaft und unbestimmt, eine namenlose Künstler- und Intellektuellenkaste erscheint auf der Bildfläche, die über Differenz und Multikulturalismus schwadroniert, postmodern philosophiert und die Aussichtslosigkeit politischen Handelns postuliert. Inwieweit Rorty, enfant terrible der Philosophie, einen fortschrittlichen US-Diskurs inspirieren wird, bleibt abzuwarten. Der Debatte der sozialdemokratischen Linken Europas vermögen die politischen Essays des Philosophen wohl noch weniger Diskussionsstoff liefern als dies dem Theoretiker des dritten Weges, Anthony Giddens, mit seinen Beiträgen zur Zukunft moderner linksliberaler Politik gelang. Und doch wünscht man Rorty, dass die erhoffte Aktivierung gesellschaftsverändernder Politik auf der Basis der skizzierten Traditionen gelingt. Erinnerung soll ja – so heißt es – besitzen müssen, wer die Zukunft mitbestimmen will. G. S.
Rorty, Richard: Stolz auf unser Land. Die amerikanische Linke und der Patriotismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1999. 167 S., DM 39,80 / sFr 37,- / öS 291,-