Seit 25 Jahren schickt die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" medizinisches Personal in Länder, deren Bevölkerung durch Bürgerkriege oder Naturkatastrophen in Not geraten. Rund 3000 Mitarbeiterinnen sind jährlich in mehr als 30 Ländern aktiv. Zum Selbstverständnis der NGO gehört es aber, nicht nur zu helfen, sondern auch zu informieren und zu mahnen, auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen und - soweit möglich - diese durch die internationale Präsenz in Konfliktgebieten auch zu verhindern. Neben einer Analyse der Erfolge und Mißerfolge der humanitären Hilfe während der vergangenen 25 Jahre, wird im vorliegenden Band der zentralen Frage nachgegangen, ob effektive Hilfe für die Zivilbevölkerung angesichts der Steigerung sowie der zunehmenden Chaotisierung von Konflikten überhaupt noch möglich ist und wie sie gegebenenfalls aussehen müßte. Die personelle und Ressourcen mäßige Überforderung bereitet ebenso Probleme wie das "Gebot" der Neutralität oder die meist nur sehr kurzfristige Aufmerksamkeit der Medien. Mehrfach kritisiert wird in diesem aufrüttelnden Buch, in dem neben Mitgliedern von "Ärzte ohne Grenzen" auch kritische Journalistinnen sowie Vertreter des IKRK sowie des UNHCR zu Wort kommen, die laxe Haltung der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber Gewalt. Humanitäre Hilfe - so lautet zusammengefaßt ein ernstzunehmender Vorwurf werde zunehmend als Feigenblatt bzw. Ersatz für politischen oder auch militärischen Druck auf die Verantwortlichen benutzt. Rony Braumann, Direktor des von "Medicins sans Frontiere" in Paris gegründeten Forschungszentrums für humanitäre Angelegenheiten, spricht von den UN-Blauhelmen als "tödlicher Illusion" bzw. "telegenen Attrappen". Um einen Ausweg aus der Paradoxie zu finden, "daß das westliche Fernsehpublikum nicht länger sterbende Kinder in den Nachrichten sehen will, andererseits aber die eigenen Soldaten bei dem Versuch, in all dem Chaos eine Ordnung wieder herzustellen. auch nicht sterben sollen", wird neben dem Konzept von Treuhandverwaltungen sowie der Delegation von Aufgaben an einzelne Staaten auch der Einsatz von Söldnerheeren im Dienst der UNO vorgeschlagen. Das Engagement von Menschen in humanitären Organisationen ist beeindruckend und hilft zugleich, die "Probleme" unserer Wohlstandsgesellschaften zu relativieren. Die tägliche Konfrontation mit dem Leid von Menschen in Kriegswirren verleiht der Kritik an der internationalen Staatengemeinschaft zusätzliches Gewicht. Ob der Ruf nach militärischen Interventionen - er wird von der Mehrzahl der Autoren befürwortet - jedoch dieses wirksam zu vermindern imstande wäre, bleibt offen. H. H.
Im Schatten der Konflikte. Schützt humanitäre Hilfe Menschen in Not? Hrsg. v. Ärzte ohne Grenzen. Bonn: Dietz, 1996.352 S., DM/sFr 24,80/ÖS 181