Neuer Wohlstand durch Entschleunigung

Ausgabe: 1996 | 3

Die Beschleunigung aller Lebensbereiche gehört längst zu unserem bevorzugten Lebensstil. Ja sogar die Freizeit Ist nicht mehr das, was sie einmal war. Und wo bleibt die Zeit, die durch die Beschleunigung gewonnen wurde? Der Gymnasiallehrer Fritz Reheis beschäftigt sich eingehend mit dem Phänomen des umfassenden „Sach“zwangs der Beschleunigung und Entrhythmisierung des Lebens sowie den daraus ableitbaren Konsequenzen. Zunächst wirft der Autor einen Blick auf die Alarmzeichen der Beschleunigung. Die Symptome der Überforderung des Menschen (Zivilisationskrankheiten, zerfallende Gesellschaften, soziale Ausgrenzung) haben für ihn einen gemeinsamen Nenner: "Alles Leben ist (...) darauf angewiesen, mit Kräftevorräten richtig zu haushalten." Haushalten begreift er als" Kunst des klugen Umgangs mit Zeit". Reheis weist eindrücklich auf den Programmierungsfehler der "modernen" Ökonomie hin, die auf Steigerung und Beschleunigung, nicht aber auf Erhalt. der Voraussetzungen der Produktion ausgerichtet 1St. Es geht nicht mehr um die Befriedigung des Bedarfs, sondern um die Produktion von Überschuß als unmittelbarem Zweck des Wirtschaftens. Um die herrschende Produktions- und Beschleunigungslogik zu bremsen, skizziert Reheis drei Modelle für einen Kurswechsel:' das Dualwirtschaftsmodell, bei dem ein langsamerer Eigenarbeitssektor aus dem schnellen Lohnarbeitssektor ausgelagert wird; das Modell einer gerechten Marktwirtschaft, das sich am Prinzip der individuellen Tauschgerechtigkeit Orientiert und schließlich das Modell der demokratischen Planwirtschaft, das ganz auf das Mittel der Marktkoordination verzichtet. Im Schlußkapitel entwirft der Autor in Weiterentwicklung des “neuen Wohlstandsmodells" von Ernst U. v. Weizsäcker (Erdpolitik, 1989) das Bild einer entschleunigten Gesellschaft der Zukunft. Darin zeigt sich der neue Wohlstand primär in einer auf Reduktion von Arbeit und Konsum ausgerichteten Vision. Dazu gehören für ihn eine drastische Arbeitszeitverkürzung bei gleichmäßigerer Verteilung der Arbeit ebenso wie ein an den Werten der 70er Jahre ausgerichteter Konsumstandard. Im Vordergrund steht nicht der Besitz von Sachen, sondern das Sein der Menschen, ihr Wohlbefinden und die Entfaltung und Erfüllung Ihrer kreativen Möglichkeiten. A. A.

Reheis, Fritz: Die Kreativität der Langsamkeit. Neuer Wohlstand durch Entschleunigung. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1996. 258 S.