Klimagerechtigkeit

Ausgabe: 2013 | 4

Wirtschaftlich aufstrebende Staaten beanstanden regelmäßig die Untätigkeit der Industriestaaten beim Klimaschutz und fordern für sich selbst höhere CO2-Kontingente. Die heute bereits spürbaren Folgen des Klimawandels treffen hauptsächlich diejenigen, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen haben, nämlich die Armen. Wie soll man also mit „Erblasten“ umgehen und wie mit dem Energie- und Ressourcenhunger von rund einem Zehntel der Weltbevölkerung? Klimagerechtigkeit würde auf der Emissionsseite dann verwirklicht sein, wenn jedem Menschen ein gewisses Budget an Kohlendioxidäquivalenten pro Jahr zur Verfügung stünde. Dies würde für die Hauptverursacher des Klimawandels, die Industrienationen, den Zwang zur drastischen Reduktion bedeuten.

 

Gegenwärtig wird die Klimadebatte wie erwähnt hauptsächlich anhand naturwissenschaftlich-technischer Daten bzw. unter ökonomischer Fragestellung diskutiert. Mindestens ebenso wichtig wie die Fakten und das Kosten-Nutzen-Kalkül sind aber auch geisteswissenschaftliche Zugänge. „Denn über naturwissenschaftlich- technische Fragen hinaus fordert Nachhaltigkeit eine tiefgreifende Transformation gesellschaftlicher Leitwerte und -modelle, neue Maßstäbe für Fortschritt und Innovation sowie ein inter- und transdisziplinäres Denken und Gestalten in Querschnittszusammenhängen.“ (S.7) Dabei geht es insbesondere um die Frage nach dem richtigen Ausmaß und dem Verteilungsmaßstab des Klimaschutzes.

 

Sozialwissenschaftliche Klimadebatte

Die Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung bieten hierzu normative Vorstellungen von Klimagerechtigkeit und einer Klimapolitik, die von der Idee der Freiheit aller Menschen ausgeht, wie dies der Herausgeber Felix Ekardt im einleitenden Beitrag zu den „Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Klimadebatte“ formuliert. Für ihn steht außer Zweifel, dass Appelle an Unternehmen oder BürgerInnen und das Vertrauen auf deren freiwillige Initiative klimapolitische Vorgaben nicht ersetzen können (vgl. S. 47). „Das Klima erscheint am Markt vordergründig als ‚kostenloses‘ Gut und wird deshalb zu stark genutzt. Und es gibt viele andere menschliche Eigenschaften wie Kurzzeitdenken, Neigung zu Bequemlichkeit und Gewohnheit, emotionale Nichtwahrnehmung raumzeitlich entfernter Schäden usw., die dieses Problem weiter vertiefen.“ (S. 49) Da die genannten Eigenschaften nicht nur auf Unternehmen und BürgerInnen, sondern auch auf die Politik zutreffen, erklärt sich daraus wohl auch das Scheitern bisheriger Klimapolitik. Schließlich geht es dem Autor um die Option einer globalen Klimawende, die er anhand eines 10-Punkte-Planes vorstellt.

 

Klimawandel - Wertewandel

Der Klimawandel ist nicht nur eine Herausforderung für politische Verhandlungen, sondern auch eine Frage des gesellschaftlichen Wertewandels, wie Markus Vogt in seinem Beitrag darlegt. Gleichzeitig ist das Thema auch ein Interessens- und ein Überzeugungskonflikt und es bräuchte starke Institutionen und den Willen zu Gerechtigkeit, „um erfolgreich über globale Kooperation und Risikovorsorge zu verhandeln“ (S. 78). Lukas Meyer untersucht, inwiefern die Berücksichtigung historischer Emissionen eine Forderung der Gerechtigkeit ist. Er zeigt, dass aus Perspektive der distributiven Gerechtigkeit sowohl „die Begünstigungen als auch die Schädigungen,, die heute und zukünftig Lebende erfahren (…) zu berücksichtigen sind“ (S. 102). Für Eugen Pissarskoi ist es verwerflich, die am meisten Benachteiligten bewusst zu schädigen. Zudem sieht er in der Höhe der Kosten, die wir zur Linderung des Klimawandels bräuchten, keinen Grund, ambitionierte Klimaziele nicht entschlossen anzugehen und die Treibhausgaskonzentrationen auf das vorindustrielle Niveau zu senken. Matthias Möhring-Hesse wiederum widmet sich der „Grammatik der Generationengerechtigkeit“ und versucht zu zeigen, dass es unter Einhaltung einiger Restriktionen möglich ist, die Verpflichtungen der gegenwärtig lebenden Menschen für einen wirksamen Klimaschutz für die in Zukunft lebenden Menschen zu begründen (vgl. S. 266). Es spricht demnach nichts dagegen, eine Ethik des Klimaschutzes unter Zuhilfenahme der „Generationengerechtigkeit“ zu formulieren.

 

Die Beiträge zeigen, dass Klimaschutz auch jenseits des moderne Gesellschaften prägenden Wachstumsdenkens reflektiert werden kann. Wer Interesse daran hat, in die Tiefen der transdisziplinären Debatten zum Thema aus sozialwissenschaftlicher Sicht vorzustoßen, der wird hier viele brauchbare Argumente finden. Alfred Auer

 

Klimagerechtigkeit. Ethische, rechtliche, ökonomische und transdisziplinäre Zugänge.

Hrsg. v. Felix Ekardt. Marburg: Metropolis-Verl., 2012. 299 S.,

€ 29,80 [D], 30,70 [A], sFr 41,70

ISBN 978-3-89518-901-2