Der vorliegende Band ist Ergebnis eines zweitägigen Symposions am Bielefelder »Zentrum für interdisziplinäre Forschung«, das Helmut Schelsky 1967 begründete, um einen Ort der Integration der Wissenschaften zu etablieren. Der Soziologe und Hochschulreformer griff die Idee des Deutschen Idealismus auf, wonach es die Aufgabe der Wissenschaft sei, »im Geist des Ganzen zu denken- (Schelling) und »bloße Gelehrsamkeit in eine Bildung ... zu verwandeln.« (W. v. Humboldt) Wie weit unser technisch-wissenschaftliches Zeitalter davon entfernt ist, war nicht nur Schelsky klar, sondern geht auch aus den Referenten hervor, die sich sehr kritisch mit den Chancen, doch nicht weniger mit den Grenzen der Interdisziplinarität in Theorie und Praxis beschäftigen. Übereinstimmend wird »diszipliniertes« Arbeiten gefordert, das wissenschaftliche Forschung stets unter Ausblendung irrelevanter Fragestellungen ermöglicht. Gerade deshalb ist wissenschaftliche »Engführung« aber stets wirklichkeitsfremd. Jürgen Mittelstraß spricht in diesem Zusammenhang von einer »Asymmetrie von Problementwicklung und disziplinärer Entwicklung«. Interdisziplinarität ist in diesem Sinne eine »Reparaturinitiative« und ein »Kompensationsphänomen«. Sie ermöglicht die »Rückgewinnung wissenschaftlicher Wahrnehmungsfähigkeiten«, öffnet den Blick auf Fachgrenzen und behandelt »Probleme, deren Disziplin wir noch nicht gefunden haben«, (Krüger) Die Grenzen übergreifender Forschung, die das »theoretische Integrationsniveau« (Heckhausen) wie auch institutionelle Hindernisse betreffen, werden ebenso erörtert wie konkrete Erfahrungen am Bielefelder Institut: Fragestellungen von gemeinsamem Interesse lassen bei natur- und geisteswissenschaftlichen Diskursen »Mischsprachen- entstehen, reduzieren Vorbehalte gegenüber anderen erkenntnistheoretischen Modellen und können einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung neuer Forschungsbereiche leisten. Wenn Interdisziplinarität nicht „als List der Institutionen“ (P. Weingart) entlarvt, eine „besonders spezialisierte Form der Forschung“ bleiben oder auch erst werden will, sind Koordination, Kooperation und Kommunikation an Institutionen zu verstärken. Darüber hinaus ist die Erziehung zu ganzheitlichem Denken als Aufgabe schulischer Bildungsarbeit auszubauen. Interdisziplinarität, gegründet auf fachlich fundiertes Wissen, scheint die einzig angemessene Form, komplexe Probleme zu lösen.
Interdisziplinarität. Praxis - Herausforderung - Ideologie. Hrsg. v. Jürgen Kocka. Frankfurt/Main, 1987. 168 S. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 671)