Gesellschaft der Angst

Ausgabe: 2016 | 4
Gesellschaft der Angst

bude„Man kann die Veränderung so auf den Punkt bringen, dass wir heute einen Wechsel im gesellschaftlichen Integrationsmodus vom Aufstiegsversprechen zur Exklusionsdrohung erleben.“ Damit beschreibt Heinz Bude, was er unter „Gesellschaft der Angst“ versteht (S. 19). Die permanente „Kündigungsdrohung“ im privaten wie im wirtschaftlichen Leben setze immer mehr Menschen unter Druck. In den Familien werde die „Sehnsucht nach einer unkündbaren Beziehung“ (S. 28) zunehmend auf die Kinder verschoben – mit problematischen Folgen. In der Schule gelte die „Einübung von Leistungsmotivation als Voraussetzung für Erfolgstüchtigkeit“ (S. 43): „Die Heranwachsenden sollen lernen, sich einzubringen, auszudrücken und insgesamt eine gute Figur zu machen.“ (ebd.) In der Wirtschaft führe die Globalisierung zu einer immer stärkeren Spaltung in die FacharbeiterInnen der „exportorientierten Hochproduktivitätsökonomie“ (S. 62) und den Verliererbranchen. Die „vulnerablen Karrieren“ (S. 69) würden auch im Mittelstand zunehmen, insbesondere auch bei den vielen KleinunternehmerInnen, so ein weiterer Befund von Bude, der von „Statuspanik in der gesellschaftlichen Mitte“ (S. 60) spricht. Ein Viertel aller 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland soll Stundenlöhne von weniger als 8,50 Euro haben (Sozioökonomisches Panel 2014, zit. S. 70).

 

Verschiebung der Ängste auf Flüchtlinge

Die Ideologie der „Leistungsindividualisten“ (S. 73) stelle die „individuelle Vorteilsgewinnung über die kollektive Kooperationsverpflichtung“ (ebd.), was selbst in Lohnverhandlungen bemerkbar sei. Nun verschiebe sich die Angst auf jene, die als Flüchtlinge zu uns kommen, folgert Bude. Während die sogenannten Gastarbeiter trotz Konflikten in die Gesellschaft sowie den Sozialstaat integriert werden konnten, habe sich seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs, mit der Erweiterung der EU und mit den Flüchtlingsrouten über das Mittelmeer der öffentliche Diskurs gewandelt. Das Bild einer „Festung Europa“, die vor „Eindringlichen“ zu schützen sei, gewann Oberhand (S. 137). Eine weitere Zäsur ortet Bude in „9/11“. Terrorangst vermischte sich mit Islamophobie. Die Angst verbreitete sich mit den Medienbildern dieses und weiterer Anschläge. Der Autor spricht nun von einer doppelten Angst. Nicht-Muslime hätten Angst vor den Muslimen und diese vor den Nicht-Muslimen, befördert von Brandanschlägen auf Asylheime oder der Mordserie der NSU an zugewanderten Kleinunternehmen in den Jahren von 2000 bis 2006.

Was schlägt Bude vor? Es gehe nicht darum, beiden Seiten ihre Angst zu verbieten. Vielleicht würde aber im Zulassen erkennbar, „dass die Angst ums Eigene sofort die Angst der Anderen provoziert“ (S. 143). Und zudem gelte es, den öffentlichen Diskurs zu verändern. Dazu gehöre zuallererst, „dass Migranten nicht mehr als Migranten wahrgenommen werden wollen“ (S. 142), sondern als Mitbürger eines Staates, Stadtteils oder Betriebs. Bildung könne Ängste ebenso mindern wie Humor, so Bude abschließend, letztlich gehe es aber um gesellschaftliche Bedingungen, die allen Menschen ein Leben in Zuversicht ermöglichen. Hans Holzinger

Bei Amazon kaufenBude, Heinz: Gesellschaft der Angst. Hamburg: Hamburger Edition,2014.167 S., € 16,- [D], 16,50 [A] ; ISBN 978-3-86854-284-4