Auch Georgios Zervas und Peter Spiegel verknüpfen ihr Konzept der „1-Dollar-Revolution“ mit den aktuellen Flüchtlingsbewegungen ins reiche Europa. Sie sehen diese als eine von mehreren Krisen, die aufgrund von Versäumnissen einer global akkordierten Sozial- und Umweltpolitik nun immer stärker auf uns zurückwirken werden. „Der Traum der Abschottung ist ausgeträumt“, so die beiden: „Wegducken und Abschottung bedeuten heute eines: Die Wucht des Rückstoßes der ungelösten Weltprobleme nunmehr auch auf uns würde nur noch erheblich größer werden.“ (S. 12) Notwendig sei eine „Umkehrung der Flucht“ sowie der Abbau von Gewalt fördernden Strukturen („Dividende Frieden“).
Globaler Mindestlohn
Zervas und Spiegel zeigen Wege auf, wie Entwicklung in den benachteiligten Regionen auf nachhaltiger Basis angestoßen werden könne. Sie setzen dabei auf Bildung, für die sich durch die digitale Revolution ganz neue Möglichkeiten eröffnen, neue Kommunikationsmittel sowie – analog zu Schmidl – auf Solarenergie, etwa „Solar Houses“. Und als Motor und Hebel für diese Entwicklungen schlagen die Autoren – darauf bezieht sich der Titel des Buches – einen globalen Mindestlohn als Menschenrecht vor. Dieser soll als Untergrenze einen Dollar netto für alle Tätigkeiten betragen. Dieser Mindestlohn würde die wirtschaftliche Lage zahlreicher Menschen in den Ländern des Südens markant verbessern, er würde die Ausbeutung durch 50- oder 60-Stundenwochen unterbinden (da diese für Unternehmen nicht mehr lukrativ wäre) und damit mehr Menschen in Arbeit bringen. Und die KonsumentInnen würden diese „Verteuerung“ kaum spüren, da die Löhne für die in Entwicklungsländern produzierten Waren nur einen marginalen Anteil am Endpreis ausmachen. Vorgerechnet wird dies am Beispiel einer Textilarbeiterin in Bangladesch: Für das Zusammennähen einer Jeans bekommt diese derzeit etwa 15 Cent, bei einem Mindestlohn von einem Dollar wären es 45 Cent. Bezogen auf den Durchschnittspreis einer in Deutschland verkauften Jean würde die Kostensteigerung jedoch nur 0,4 Prozent ausmachen. Als weiteren Vorteil eines globalen Mindestlohns, der als Menschenrecht festgeschrieben werden soll, sehen die Autoren die „Wettbewerbsneutralität“ – alle Unternehmen wären daran gebunden.
Zervas und Spiegel plädieren nicht für die Abschottung Europas; diese sei weder machbar noch menschenrechtlich vertretbar und Zuwanderung berge durchaus auch Chancen für die Einwanderungsländer. Doch Migration allein könne die Herausforderung, dass noch immer eine Milliarde Menschen Hunger leidet und die Zahl von Kriegs- wie Umweltflüchtlingen dramatisch steigt, nicht bewältigen. Notwendig sei daher eine Art globaler Sozialpolitik. Doch wie soll ein globaler Mindestlohn durchgesetzt werden? Die Autoren plädieren für ein „Made for One World“-Label, das Produkte entsprechend kennzeichnen soll. Doch bleiben sie nicht bei freiwilligen Maßnahmen von einzelnen Vorzeigeunternehmen stehen. Notwendig sei eine für alle Konzerne verbindliche Festlegung im Rahmen eines „Global Fair Trade Systems“ über die UNO bzw. WTO. Gehofft wird auf die Europäische Union. Diese müsse den globalen Mindestlohn sowie andere soziale und ökologische Mindeststandards, die innerhalb der EU gelten, auf sämtliche Produkte, die auf dem EU-Markt gehandelt werden, ausweiten. Einen Textvorschlag für eine entsprechende EU-Verordnung findet man im Buch (S. 210), eine Erklärung „New Deal 21“ des von Peter Spiegel gegründeten Genesis-Instituts in dessen Anhang (S. 237ff).
Resümee: Ein engagiertes und wohldurchdachtes Konzept für eine faire Weltwirtschaft, das der EU wohl besser anstünde als die geplanten, demokratiepolitisch wie ökologisch problematischen Freihandelsverträge CETA und TTIP mit den „Wohlstandsinseln“ Nordamerikas.Hans Holzinger
Zervas, Georgios ; Spiegel, Peter: Die 1-Dollar-Revolution. Globaler Mindestlohn gegen Ausbeutung und Armut. München: Piper, 2016. 251 S., € 20,00 [D], 20,60 [A]ISBN 978-3-492-05779-0