Folgen hoher Radioaktivität

Ausgabe: 1991 | 3

Seit dem Einsatz der ersten Atombombe 1945 hat sich die Forschung intensiv mit den Wirkungen von Strahlung auf die Gesundheit beschäftigt. Die vorherrschende Meinung der Wissenschaft war, dass hohe Strahlungsdosen ernste gesundheitliche Beeinträchtigungen auslösen können, während kleine Dosen aus radioaktivem Niederschlag oder Strahlung geringer Stärke wenig Schäden verursachen. Etwa vor drei Jahrzehnten wurden jedoch von Rachel Carson, Linus Pauling und Andrej Sacharow Vorhersagen gemacht, dass auch Strahlung geringer Intensität breite Schädigungen bewirken würde. Diese Vorhersagen scheinen sich bewahrheitet zu haben - und zwar nicht nur während der Zeit der Atombombentests in der Atmosphäre, sondern auch nach jedem größeren Zwischenfall, bei dem nukleare Spaltprodukte frei wurden. Die Autoren trugen Daten aus offiziellen Sterbedokumenten nach größeren radioaktiven Niederschlägen zusammen und analysierten sie in Hinblick auf die Zahl der Todesfälle, die über den langjährigen nationalen Durchschnittsraten lagen. Einige Entdeckungen und Annahmen:

  1. Auf die Strahlung der Katastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 folgte fast sofort ein Anstieg der Todesfälle über die Durchschnittsrate von um 40000, insbesondere unter den sehr Jungen und den sehr Alten sowie den an Infektionskrankheiten Leidenden.
  2. Die langjährige Abnahme der Kindersterblichkeit stagnierte in den 50er und 60er Jahren - nach der Periode 1945-1962, als die Supermächte die Weltbevölkerung durch ihre Atombombentests einem radioaktiven Niederschlag unterwarfen, der dem von 40000 Hiroshima-Bomben gleichkam.
  3. Niedrig strahlenbelastete Milch kann eine bisher übersehene Mitursache für die hohe Kindersterblichkeit in Städten sein.
  4. Der Austritt von Radioaktivität in die Atmosphäre beim Strahlenunfall von Millstone/Connecticut '1975 kann eine Mutation der von Zecken übertragenen Spirocheten bewirkt haben, die die Lyme-Krankheit auslösen. 
  5. Der radioaktive Niederschlag der Bombentests in der Atmosphäre kann die Immunsysteme der damals Heranwachsenden geschädigt und auch die Mutationen der Aids-ähnlichen Viren beschleunigt haben, die in afrikanischen Affen gefunden wurden und die dadurch für den Menschen viel gefährlicher wurden.

Aus Rücksicht auf die nationale Sicherheit, wie sie seit dem Beginn des Kalten Krieges gehandhabt wurde, wurde die Wahrheit über verschiedene Sterbefälle vor der amerikanischen Öffentlichkeit geheim gehalten (ein Kapitel darüber beschreibt verschiedene Datenmanipulationen). Die Wissenschaft und die Medien sind auch nicht unbeteiligt daran, dass "diese tödliche Täuschung aufrechterhalten" wird. Ein methodologischer Anhang beschreibt "statistische Epidemiologie", und ein 40seitiges Nachwort der 2. Auflage antwortet auf Kritiker der 1. Auflage vom Sommer 1990. Ein offenkundig sehr kontroversielles Buch. Wird nach dem Ende des Kalten Kriegs die "Glasnost" in den USA und der UdSSR eine neue Einschätzung der Effekte niedriger Strahlung voranbringen?  

Gould, Jay M. und Goldman, Benjamin A.: Deadly deceit: Low-Level Rediation, High-Level Cover-Up. New York: Four Walls fight Windows, 1991. 266 S., $ 1O,95 /DM 17,- / sFr 14,30 / öS 131,40