Transnationale Unternehmen (TNUs) auf der einen und Nicht-Regierungsorganisationen (NROs) auf der anderen Seite mischen sich immer stärker in die Weltpolitik ein. Öffentliche Tätigkeitsfelder werden kommerzialisiert, staatliche Aufgaben delegiert. Diese „Privatisierung der Weltpolitik“ stellt einen widersprüchlichen Aspekt der Globalisierung dar, der bislang zu wenig Beachtung findet. Führt er zu größerer Beteilgung der BürgerInnen oder zum Bedeutungszuwachs exclusiver Clubs? Haben die PolitikerInnen vor den globalen Herausforderungen kapituliert und überlassen zunehmend den Privaten das Feld? Was bedeutet ein solcher Trend für Transparenz, Rechenschaftspflicht, aber auch Effektivität von Weltpolitik?
Diesen Fragen wird im vorliegenden, insgesamt 12 Beiträge umfassenden Band nachgegangen. Der Kommunikationswissenschaftler Dusan Reljic analysiert zunächst den „Vormarsch der Megamedien“ und die „Kommerzialisierung der Weltöffentlichkeit“ - der US-Mediengigant AOL/Time Warner allein erreicht einen Jahresumsatz von 30 Mrd. Dollar, gefolgt von Walt Disney mit über 20 Mrd., Bertelsmann aus Deutschland kommt auf etwa 15 Mrd.
- und verweist zugleich auf die Selektivität der Weltberichterstattung („Wo kein Büro von Reuters oder AP vorhanden ist, fällt eine Region leicht in ein ´schwarzes Loch´; nur durch Kriege und Katastrophen kann sie in den globalen Informationsfluss gelangen.“ S. 68). Der Ökonom Kees van der Pijl zeigt in der Folge, wie private Politiknetzwerke und think tanks - von den britischen Freimaurern bis hin zum Weltwirtschaftsforum in Davos - die liberale Weltordnung geprägt und verändert haben.
Ein eigener Abschnitt ist der verstärkten Kooperation der Vereinten Nationen mit transnationalen Unternehmen, die von Generalsektretär Kofi Annan mit dem sog. „Global Compact“ eingeleitet wurde, gewidmet. James A. Paul vom „Global Policy Forum“ in New York befürchtet, dass das „größte Kapital“ der UNO - ihre Legitimität - durch den Ausverkauf an „Multis“ Schaden nehmen könnte und favorisiert als Gegenmodell einen „Bürgerpakt“ (Citizen Compact), in dessen Rahmen die BürgerInnen ihre Möglichkeiten zur Kontrolle von Unternehmen ausbauen könnten. Seine Kollegin Phyllis Bennis vom „Institute for Policy Studies“ in Washington warnt davor, die Finanzkrise der UNO durch zu Enge Bande mit TNUs zu lösen, da es Unternehmen trotz einer zweifelhaften menschenrechtlichen und ökologschen Bilanz so erleichtert würde, sich mit dem UN-Logo „reinzuwaschen“.
Wie Rating-Agenturen, die nicht nur die Kreditwürdigkeit privater Schuldner, sondern auch die souveräner Staaten beurteilen, bestimmen, ob und zu welchen Bedingungen diese Kredite erhalten, und zu welchen Krisen Fehleinschätzungen führen (Beispiel: Asien), zeigt in der Folge Ernst Hillebrand von der Friedrich Ebert-Stiftung. Der Nord-Süd-Experte Bernd Ludermann skizziert zwei Phänomene der Privatisieurung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit: Geberländer lagern die Durchführung von Hilfsprogrammen verstärkt auf NGOs aus, ohne diesen jedoch politische Entscheidungen einzuräumen. Und nördliche NGOs übernehmen in Empfängerländern vermehrt staatliche Funktionen, wobei hier weniger von „Entstaatlichung“ zu sprechen sei, da in Krisengebieten häufig gar keine funktionierenden staatlichen Strukturen vorhanden sind.
Eine andere Art der Privatisierung schildert Peter Lock - er ist Experte für die „politische Ökonomie bewaffneter Konflikte“ -, nämlich den rasant steigenden „Weltmarkt für Sicherheit“, dem entsprechende „Gewaltmärkte“ (krimineller Sektor) korrespondieren. Zunehmende Entstaatlichung sowie das Schrumpfen der regulären Ökonomie führe, so der Friedensforscher, zu immer mehr „gewaltoffenen Räumen“. Die Ausweitung privater Sicherheitsdienste, eine zunehmende Militarisierung des „Werkschutzes“ (internationale Konzerne lassen ihre Unternehmensniederlassungen durch Privatdienste sichern) sowie die Rekrutierung junger Arbeitsloser durch spezielle Söldnerfirmen seien die Folge.
Die Ambivalenz von Verhaltenskodizes transnationaler Unternehmen (Rainer Braun), das Gewicht von NGOs in der internationalen (Um-)Setzung von Menschenrechten (Andrea Liese), die Rolle von Umweltgruppen wie von Unternehmen („Fossil-Lobby“) in der internationalen Klimapolitik (Jürgen Maier) sowie die Problematik der privaten Kontrolle genetischer Ressourcen im Kontext der Patentierung von Lebewesen durch WTO und TRIPS (Florianne Koechlin) sind weitere Themen des Bandes, der einen wichtigen Beitrag zur Globalisierungsdebatte leistet. H. H.
Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess. Hrsg. v. Tanja Brühl ... Bonn: Dietz, 2001. 320 S. (EINE Welt - Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden; 11) DM / sFr 24,80 / öS 193,50