Die Ökonomie des Terrors

Ausgabe: 2004 | 2

Auf etwa 1,5 Billionen Dollar schätzt Loretta Napoleoni den gegenwärtigen Jahresumsatz jener Netzwerke, aus denen internationale Terrorgruppen finanziert werden. In akribischer Recherchearbeit zeigt die Wirtschaftswissenschaftlerin die Strukturen und Quellen auf, die die „Ökonomie des Terrors“ am Leben erhalten: das sind ganz legale Geschäfte ebenso wie illegale Einnahmen aus Drogenhandel, Schmuggel und Geldwäsche. Der Aufbau dieser Ökonomie der Gewalt reicht für die Autorin dabei zurück in die Zeit des Kalten Krieges, in der die USA und die Sowjetunion so genannte „Befreiungsbewegungen“ in vielen Ländern des Südens finanzierten, um Einfluss auf diese Staaten zu gewinnen. In einem weiteren Kapitel beschreibt Napoleoni aktuelle Beispiele der Kriegsökonomie wie die Finanzierung der Warlords in Sierra Leone durch den internationalen Diamantenhandel oder die Etablierung eines Schattenstaates in den peruanischen Kokaanbaugebieten durch den Sendero Luminoso, der als „Schutzmacht“ für die Kokabauern auftrat. Den Großteil der Ausführungen widmet die Expertin aber den internationalen Netzwerken islamistischer Gruppen, die mit den Anschlägen vom 11. September 2001 die Weltöffentlichkeit aufrüttelten, jedoch bereits seit einigen Jahrzehnten - das macht das Buch deutlich - aufgebaut wurden. Napoleoni schildert die wirtschaftlichen Verflechtungen dieser Gruppen (von Firmenbeteiligungen über Börsenaktivitäten bis hin zu großen „Wohltätigkeitseinrichtungen“, die weltweit Spenden lukrieren) ebenso wie das lange Wegschauen von US-Regierungen, die aufgrund der Abhängigkeit vom saudischen Erdöl das dortige Regime, ein wichtiger Financier fundamentalistischer Kräfte, noch immer stützten. Der Terrorismus werde, so die Autorin, vor allem als politisches Phänomen wahrgenommen, der ökonomische Kontext dabei sträflich vernachlässigt: Riesige Geldsummen aus illegalen Geschäften fließen zurück in die reguläre Wirtschaft insbesondere der USA - „ein Vorgang, der verheerende Folgen für die ethischen Einstellungen westlicher Geschäftsleute hat“ (S. 18). Napoleoni arbeitet auch die ökonomischen Motive der islamistischen Bewegungen heraus. Die wirtschaftliche und politische Dominanz des Westens habe die Verbreitung neuer ökonomischer und finanzieller Kräfte in der islamischen Welt behindert. Diese Kräfte hätten nun, so ihre These, Allianzen mit bewaffneten Gruppen und fundamentalistischen Religionsführern geschmiedet, um die muslimischen Ländern vom Einfluss des Westens und den Oligarchien im eigenen Land zu befreien: „Wie bei den Kreuzzügen ist die Religion lediglich ein Werkzeug, um Kämpfer anzuwerben. Die eigentliche Triebkraft sind wirtschaftliche Interessen“ (S. 18). Der Erfolg Bin Ladens, dessen Al Kaida-Netzwerk ausführlich dargestellt wird, beruhe in diesem Sinne „eher auf Geschäftsverstand als auf religiösem Eifer“ (S. 255). Die Autorin scheut sich auch nicht, die im „Fundamentalismus- Diskurs“ meist verschwiegenen politischen Motive von Al Kaida und des Terrorfinanziers zu benennen, die sich gegen die ökonomische und kulturelle Ausbeutung der muslimischen Massen durch in- und ausländische Mächte richte. Das Buch schließt mit einem Glossar über die derzeit bekannten Terrornetze und einem umfangreichen Quellennachweis. Es ist journalistisch-wissenschaftliche Recherche im besten Sinne. H. H.

 

Napoleoni, Loretta: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus. München: Kunstmann, 2004. 445 S., € 24,90 [D], 25,60 [A], sFr 43,70 ISBN 3-88897-354-6