Kathrin Hartmann

Die grüne Lüge

Ausgabe: 2019 | 2
Die grüne Lüge

Was machen Konzerne, wenn sie die Umwelt – z. B. durch die Produktion großer Abfallmengen –schädigen? Richtig, sie lügen und manipulieren; z. B. indem sie Umweltkatastrophen vertuschen oder vorgeben, nachhaltig und umweltfreundlich zu produzieren, obwohl dies nicht der Wahrheit entspricht. Für diese weit verbreitete Strategie des Greenwashing gibt es zahlreiche Beispiele; einige davon beschreibt Katharina Hartmann in ihrem aktuellen Buch „Die grüne Lüge“.

(1) Nespresso erwirtschaftet mit dem Verkauf portionierten Kaffees einen jährlichen Gesamtumsatz von 80 Mrd. Euro. Gleichzeitig wird alleine durch die Alukapseln ein Müllberg von 8000 Tonnen produziert. Davon abgesehen werden für die Herstellung von Aluminium soziale sowie umweltbezogene Schäden in Kauf genommen. Diese Tatsache versucht Nespresso wettzumachen, indem es für das Recycling der Kapseln wirbt, ohne transparent zu machen, wie gut die Wiederverwertung klappt; oder indem es sich als „nachhaltig“ zertifizieren lässt, ohne genauer zu deklarieren, was darunter zu verstehen ist.

(2) Der Öl-Konzern BP verursachte im Jahre 2010 eine gigantische Ölpest im Golf von Mexiko. Durch die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon gelangten mehrere hundert Millionen Liter Öl ins Meer. BP gelang es erst nach 87 Tagen das Bohrloch, aus dem das Öl sprudelte, zu stopfen. Um die entstandenen Ölteppiche zu beseitigen, besprühte BP diese zusätzlich mit Chemikalien, die die Umweltschäden noch vergrößerten. Um ihr Image aufzupolieren, startete BP eine Kampagne: Man inszenierte sich als „Saubermacher“, obwohl sie selbst der alleinige Verursacher des Desasters war. BP investierte etwa in Solarenergie und gab sich so als Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Gleichzeitig lobbyierte BP dafür, die Beschränkungen für Ölförderungen in Naturreservaten aufzuheben.

(3) Palmöl ist das am häufigsten verwendete und billigste Öl; es ist in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten. Der größte Teil des weltweit verwendeten Palmöls stammt aus Indonesien. Mit dem Ziel neue Anbauflächen zu schaffen, werden – vielfach ohne Erlaubnis – immer wieder ganze Landstriche an bewaldeter Fläche dem Erdboden gleichgemacht. Kinderarbeit ist oft ein Teil des schmutzigen Geschäfts. Um all dies zu kaschieren, wird auch im Palmöl-Geschäft zu Greenwashing gegriffen. So wurde die Fiktion „nachhaltigen Palmöls“ propagiert. Unterstützt wird diese Praxis  (wohl nicht alleine) durch die deutsche Bundesregierung, die z. B. 2012 dem Konzern Unilever, einem führenden Palmölproduzenten, trotz Protesten einen Nachhaltigkeitspreis zuerkannte.

Greenwashing als diskursive Strategie

Hartmann geht davon aus, dass sich Greenwashing in der Regel der diskursiven Strategie der Wiederholung bedient. Indem Unternehmen wie Nestlé oder BP immer wieder – d. h. nahezu gebetsmühlenartig – auf ihr ökologisches Bewusstsein sowie auf ihre zahlreichen umweltbezogenen (Schein-)Initiativen hinweisen, erhalten ihre „Bemühungen“ zumindest soweit Geltung, dass Kritik relativiert und abgewehrt werden kann. Oftmals klappt diese Strategie so gut, dass es nicht die Firmen sind, die sich „für ihre Zerstörung rechtfertigen [müssen] – sondern ihre Kritiker für die Kritik“ (S. 21). Ein weiterer „Taschenspielertrick“ ist das Argument des „kleinen Beitrags“; so geben die Konzerne häufig vor, dass auch sie – wie alle anderen – ihren Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten. Insgesamt würde sich so alles zum Positiven entwickeln. Diese Darstellung der Dinge soll vergessen machen, dass Ausbeutung und Umweltschäden keine beiläufigen und vermeidbaren „Nebenprodukte“ kapitalistischer Verwertung darstellen, sondern vielmehr die Grundlage des Profits darstellen. Dabei ist mit zu bedenken, dass auch die KonsumentInnen einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der „nachhaltigen“ Umweltzerstörung spielen. Vielen Menschen ist die „grüne Lüge“ sogar genehm, denn sie beruhigt das Gewissen und befördert den Glauben, „dass alles so weitergehen kann wie bisher“ (S. 23). Unangenehmes wie die Umweltzerstörung sowie die verheerendsten sozialen Folgen kapitalistischer Ausbeutung werden externalisiert, also den Menschen anderer Länder und Kontinente aufgebürdet, obwohl Europa zu jenen Teilen der Erde zählt, die sowohl in Bezug auf den Klimawandel als auch auf die in Anspruch genommenen Agrarflächen einen großen „ökologischen Fußabdruck“ aufweisen. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich dieser kollektive Selbstbetrug an jenen rächt, die ihn vollführen und von ihm profitieren.