Atom- und erdölfrei in die Zukunft

Ausgabe: 2012 | 3

Ein Grieche schreibt über die Zukunft der Weltwirtschaft - kann das gut gehen? Es kann, wenn der Grieche Yanis Varoufakis heißt und einer der in internationalen Medien am meisten beachteten europäischen Wirtschaftswissenschaftler ist. Varoufakis hat nun mit „Der globale Minotaurus“ sein erstes Buch für ein breites Leserpublikum verfasst. Das merkt man dem Buch mitunter an. Komplexe wirtschaftliche Themen werden zwar verständlich, aber mit wenig Quellen und mitunter einem gehörigen Schuss Polemik erklärt. Der erste Teil des Buches befasst sich mit den Ursachen der globalen Wirtschaftskrise und unterscheidet sich wenig von anderen Büchern zum Thema. Mitunter ein wenig blumig (Analogien zu griechischen Sagen), aber immer verständlich und bissig beschreibt Varoufakis die Entwicklung vom Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971 bis hin zum Crash 2008. Varoufakis vergleicht die Wall Street in dieser Zeit des immer ungezügelter agierenden Kapitalismus mit dem antiken Monster Minotaurus. Die Industrienationen bringen (wie die alten Athener) Tribute an das Monster – diesmal in Form erwirtschafteter Überschüsse. Da das Monster konstant bessere Konditionen für das Kapital bot als es im eigenen Land erhielt, saugte die Wall Street in immer schneller werdenden Tempo Kapital an. Die USA selbst wurden durch das billige Geld immer weniger konkurrenzfähig, die industrielle Basis erodierte und der Lebensstandard konnte nur mehr mit Kredit gehalten werden – finanziert mit Geldern aus Japan, China und auch Deutschland. Die Überschüsse dieser Länder (erkauft auch durch magere Lohnabschlüsse) wurden dem Minotaurus Wall Street geopfert. Varoufakis Analyse der Volkswirtschaften nach dem Crash ist ein spannendes Plädoyer für neue Regulierungsmechanismen wie etwa Eurobonds. Mit einigen Begriffen muss der gelernte Mitteleuropäer erst warm werden (Varoufakis plädiert etwa für ein „Überschuss“-Recycling - als wären Überschüsse etwas Negatives). Dennoch ist das Buch gerade zum Schluss einer der spannendsten Beiträge zur Krise und regt massiv zum Nachdenken an.  Den Griechen hat Varoufakis Expertise leider nicht viel genutzt – als Berater der Regierung Papandreou 2004-2007 konnte er nicht viel an der griechischen Misere ändern. Auch für ihn hielt die griechische Mythologie eine Rolle bereit – die der Seherin Kassandra, deren Warnungen bis zur Katastrophe ignoriert werden. G. P.

 

Wirtschaftskrise: USA

 

 

 

 

 

 

 

Ende des Ölzeitalters

 

Energieprognosen gehen von einer Verdoppelung des Weltenergieverbrauchs bis 2030 aus. Zugleich wissen wir um „Peakoil“, „Klimawandel“ und die Risiken der Atomtechnologie. Die Notwendigkeit einer Energiewende ist daher offensichtlich. Hans Holzinger erläutert aktuelle Befunde von den Fallstricken des Ölzeitalters bis hin zu solaren Umstiegsszenarien, wobei neben den technologischen auch die notwendigen kulturellen Veränderungen

 

in den Blick genommen werden.

 

 

 

Machbare Energiewende

 

Die in Paris ansässige Internationale Energieagentur (IEA) hat den „Peak Oil“ lange Zeit ignoriert, gibt nun aber zu, dass die Erdölfördermengen um 2030 erstmals zurückgehen werden. Der Schweizer Energieexperte Roger Nordmann, der die aktuellen Prognosen für fossile Energieträger der IEA referiert, bringt die Lage auf den Punkt. Die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von fossilen Energien sei mindestens so groß wie jene von den Banken: „Genau wie flüssige Geldmittel halten auch die fossilen Energien die Wirtschaft am Laufen. Kommt es zu einem Engpass in der Energieversorgung, steht die Wirtschaft still – gleich einem Lebewesen, das innert weniger Minuten stirbt, wenn es nicht mehr genug Sauerstoff bekommt.“ Ein wichtiger Unterschied zwischen fossilen Energien und Finanzen bestehe indes: „Eine Notenbank kann flüssige Mittel schaffen, indem sie Buchungen in ihrer Bilanz vornimmt. Erdöl kann nicht beliebig vervielfältigt werden.“ (S. 37) Nordmann ist seit 2004 sozialdemokratischer Abgeordneter im Schweizer Parlament, Präsident von Swisssolar und Vizepräsident des Verkehrsclub Schweiz VCS. Anschaulich und politiknah beschreibt er in seinem Band „Atom- und erdölfrei in die Zukunft“ die Notwendigkeit einer Energiewende („Das Versiegen der fossilen Vorräte“, „Die Klimaerwärmung“, „Kernkraft – eine schwerwiegende Hypothek“), die Potenziale und technologischen Fortschritte der erneuerbaren Energien sowie – mit Blick auf die Schweiz – drei zentrale “Projekte“ der Transformation: eine intelligente Mobilität, energieeffiziente Häuser sowie eine „elektrische Revolution“, die auf eine 100-Prozent-Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien zielt. Da 40 Prozent des schweizerischen Stroms derzeit noch aus Atomkraft stammen, ist dies wohl eine gigantische, aber für den Autor durchaus machbare Herausforderung. Für eine totale Umstellung der Mobilität auf Elektrizität veranschlagt Nordmann lediglich 20 Prozent des gegenwärtigen Stromverbrauchs der Schweiz, da E-Fahrzeuge gegenüber fossil betriebenen eine vierfache Effizienz aufwiesen (S. 138). Das über Schweizer Verhältnisse hinaus relevante Buch überzeugt durch die sachliche Argumentation und die – was für die Politik wohl wichtig ist – ansprechende Aufbereitung. Zahlreiche farbige Abbildungen, übersichtliche Auflistungen, Info-Kästen und Zusammenfassungen jeweils am Kapitelende sorgen für leichte Lesbarkeit. Dass der Autor insbesondere die wirtschaftlichen Chancen einer Energiewende hervorhebt, soll die Praxisrelevanz der Ausführungen unterstreichen.

 

 

 

Wüstenstrom

 

Die Erneuerbaren Energien weisen große Potenziale im Bereich dezentraler Energieernte auf, was der Regionalisierung des Wirtschaftens einen großen Schub verleihen wird. Aber es gibt auch Planungen für Großanlagen, etwa das Desertec-Projekt zur Nutzung des afrikanisch-arabischen Wüstengürtels für die Stromversorgung Europas, die auch Afrika einen großen Entwicklungsschub bringen sollen. Ein von der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome in Kooperation mit der DESERTEC Foundation herausgegebener „Weltatlas zu den erneuerbaren Energien“ skizziert anschaulich die Notwendigkeit und die Potenziale einer Energiewende, wobei insbesondere der globale Aspekt sowie die Chance von erneuerbaren Energien für die Schwellen- und Entwicklungsländer herausgestrichen werden. In anschaulichen Grafiken und Illustrationen werden, ergänzt um Aufsätze namhafter ExpertInnen wie dem Klimaforscher Hartmut Grassl, den Energietechnikern Jürgen Schäfer und Franz Trieb oder der ehemaligen Weltbank-Mitarbeiterin und Gründerin von Earth3000 Maritta Koch-Wieser, die Zukunftsherausforderungen der Energieversorgung, aber auch jener mit Wasser und ausreichenden Nahrungsmitteln dargestellt. Die zukünftige Energieversorgung erfordere einen intelligenten Mix unterschiedlicher erneuerbarer Energieträger; das größte Potenzial machen die Desertec-ExpertInnen um den Begründer Gerhard Knies, einem Physiker, jedoch in der Nutzung des Sonnengürtels der Erde für die Stromgewinnung aus – der Begriff „Desertec“ setzt sich ja zusammen aus „Desert“ und „Technique“. Große solarthermische Kraftwerke sollen über Kontinente überspannende Stromnetze die Stromversorgung der Zukunft sichern. Entwickelt zunächst für einen Europa, den Nahen Osten und Nordafrika verbindenden Energieraum (EUMENA = Europe, Middle East, North Africa), sollte das Konzept aber auch auf Asien und Amerika ausgeweitet werden. Die Desertec-Foundation, gefördert u. a. von Prinz El Hassan bin Talal von Jordanien, setzt sich zum Ziel, die Idee zu verbreiten, und die betroffenen Länder für eine Mitwirkung zu gewinnen. So wurde kürzlich ein Desertec-University-Network gegründet, in dem 18 Universitäten und Forschungseinrichtungen aus Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten und Jordanien zusammengeschlossen sind. Dieses soll die Ausbildung, Forschung und Entwicklung für die Umsetzung des Desertec-Projekts organisieren. Zugleich bildete sich ein Firmenkonsortium in Form einer GmbH, dem neben Solarfirmen auch ABB, Siemens, die Deutsche Bank sowie die Münchner Rückversicherung angehören. Ihr Ziel ist die Umsetzung des Projekts. Erste Vorhaben seien bereits geplant, berichtet Peter Höppe von der „Munich Re2“: Marokko beabsichtige, bis 2020 Solarkraftwerke „mit einer Kapazität von 2 Gigawatt zu bauen“, in Tunesien sei ein „Solarplan“ entwickelt worden (S. 120). Da das Großprojekt nicht unumstritten ist, schließt der „Desertec-Atlas“ mit einem Kapitel über „häufig gestellte Fragen“, etwa zur Störanfälligkeit oder zur Umweltverträglichkeit. Kritisiert wird beispielsweise der hohe Wasserverbrauch der thermischen Kraftwerke für Kühlung und Reinigung – ein Argument, dem die Desertec-Betreiber mit der Aussicht auf Meerwasserentsalzung begegnen. Diese würde zugleich die Wasserprobleme der Trockengürtel der Erde lösen. Insgesamt sind die AutorInnen überzeugt, dass Desertec ein Friedens- und Zukunftsprojekt darstellt, welches den sonnenreichen Entwicklungsländern gigantische Entwicklungschancen bietet und damit die Welt ein beträchtliches Stück gerechter machen würde.

 

 

 

Energieeffizienz

 

Seit vielen Jahren engagiert sich Maximilian Gege, Begründer des Umweltwirtschaftsverbands B.A.U.M., für die Umsetzung einer Energiewende, etwa durch die Propagierung einer „Umweltananleihe“ bzw. eines „Zukunftsfonds“. Gemeinsam mit Marylin Heib vom Hamburger Kreisverband Klimaschutz hat er ExpertInnen eingeladen, Beiträge zum „Erfolgsfaktor Energieeffizienz“ zu erstellen. „Selbst wenn es denn Klimawandel nicht gäbe, wären wir gezwungen, aus der Öl-, Gas-, Kohle- und Atomwirtschaft auszusteigen, weil die statistischen Reichweiten unserer Hauptenergieträger nur noch Jahrzehnte betragen“, so ein Befund aus der Einleitung (S. 20). Einen zentralen Ansatz sehen die AutorInnen daher in einem ressourcenleichten Wirtschaften. Auch wenn Deutschland hinter Japan hinsichtlich Energieeffizienz bereits „Vizeweltmeister“ sei (S. 74), werden weitere bedeutende Einsparpotenziale geortet, die nicht nur dem Klimaschutz dienten, sondern sich auch wirtschaftlich rechneten. Allein im Industriebereich könnten durch Optimierungen jährlich an die „drei Milliarden Euro bei Prozesswärme“ und an die „fünf Milliarden Euro bei Strom“ eingespart werden (S. 80). Große Potenziale werden auch im Bereich des Bauens und Wohnens ausgemacht. Denn mittlerweile existiere eine Fülle von vorbildhaften Beispielen für „Green Buildings“ nicht nur im Wohnbereich, sondern auch für Gewerbebauten, wie die im Anhang des Bandes vorgestellten Projekte zeigen. Doch mit zukunftsfähigen Neubauten allein wird die Energiewende nicht zu machen sein, da durch Neubau im Durchschnitt pro Jahr nur ein Prozent des Wohnraums geschaffen werden, wie die Autoren anführen. Entscheidender noch wird die Sanierung des Altbestandes sein. Gebäude weisen im Durchschnitt eine Lebensdauer von hundert Jahren auf, die Erneuerungsrate ist somit gering. Gering ist aber auch die thermische Sanierungsrate, die derzeit ebenfalls nur bei einem Prozent pro Jahr liegt. Das bedeutet, wir bräuchten hundert Jahre, bis der Gebäudebestand thermisch saniert ist, so Gege und Heib (S. 31). In Summe ein faktenreicher Band mit zahlreichen innovativen Beispielen. H. H.

 

Nordmann, Roger: Atom- und erdölfrei in die Zukunft. Konkrete Projekte für die energiepolitische Wende. Zürich: Orell Füssli, 2011. 231 S., € 24,90 [D], 25,60 [A], sFr 34,- ; ISBN 978-3-280-05437-6

 

Der Desertec-Atlas. Weltatlas zu den erneuerbaren Energien. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2011. 160 S., € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 26,80 ISBN 978-3-86393-012-7

 

Erfolgsfaktor Energieeffizienz. Investitionen, die sich lohnen. Hrsg. v. Maximilian Gege …  München, ökom-Verl., 2011. 272 S., € 24,90 [D], 25,60 [A], sFr 33,60

 

ISBN 978-3-86581-267-4