Steinzeit-Emotionen und menschliche Unvernunft

Ausgabe: 1988 | 4

Wir leben in einer Zeit der menschlichen Unvernunft. Wir wissen, daß schnelleres Autofahren unsere Gesundheit gefährdet, trotzdem bauen wir immer schnellere Autos. Wir wissen, daß die Rohstoffe knapp sind, trotzdem verschleudern wir sie. Hängt das mit unserem biologischen Erbe zusammen? Eibl-Eibesfeldt, Schüler von K. Lorenz, zeigt die Zusammenhänge auf, die sich aus der Unausgewogenheit zwischen unseren geistige und emotionellen Fähigkeiten ergeben. "Das heißt im Klartext, daß Menschen mit steinzeitlicher Emotionalität heute als Präsidenten Superstaaten leiten, ihre Wettrennen auf den Autobahnen abhalten oder auch Düsenbomber steuern, was ja nicht immer gerade amüsant ist."

Die Suche nach einem Schuldigen für die beklagten Zustände muß jeder Mensch, so der Autor, bei sich selbst beginnen. Und wenn wir die Gefahren erkennen, die unser Überleben bedrohen, hilft uns das weiter? Sollten wir nicht lieber "alles den selbstregulierenden Kräften überlassen", wie Eibl-Eibesfeldt im Anschluß an Friedrich von Hayek meint? Er bleibt aber hier nicht stehen, sondern plädiert vehement für die notwendige Schaffung einer neuen Zielsetzung, nämlich der Besinnung auf unsere Fähigkeit zur Nächstenliebe, zur Sympathie und Mitleid. Dies sind Voraussetzungen für einen universalistischen Menschen als künftige "Krone der Schöpfung". Gerade das Wissen um die uns innewohnenden archaischen Merkmale aus stammesgeschichtlichen Vorzeiten eröffnet Einsicht in die Perspektive des ''weiteren Werdens" und "Mitbestimmens" der Zukunft.

"Wir wissen nicht, wozu dieses Leben eigentlich gut ist. Wir wissen nur, daß wir mit allen anderen Geschöpfen Mitträger dieses rätselhaften energetischen Prozesses sind, den wir den Lebensstrom nennen, ohne zu ahnen, wohin er eines Tages über uns hinwegführt.'· Aber sowohl das Wissen um "die Schwachstellen unserer Konstruktion" als auch die Besinnung auf "unsere freundlich-bindenden Anlagen" sollte in einem neuen Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft und für die kommenden Generationen münden. Nicht nur 'Überleben, "sondern die Erhaltung der Begabung zu weiterer humanitärer Evolution" wird Gegenstand eines zukunftsverantwortlichen Handelns.

Der Autor schildert interessant und leicht verständlich die Zusammenhänge unserer "Unvernunft". Da der Mensch des Computerzeitalters - an der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert - biologisch an die Überlebensstrategie des Jagens und Sammelns angepaßt ist, können die Äußerungen als weiterer Baustein gegen die menschliche Selbstüberschätzung verwendet werden. Das ist der erste Schritt für die notwendige Kurskorrektur.

Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Der Mensch - das riskierte Wesen. Zur Naturgeschichte menschlicher Unvernunft. München (u.a.): Piper, 1988. 277 S. DM 39,80/sfr 33,7/öS 310,40