Lea Susemichel, Jens Kastner

Identitätspolitiken

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Identitätspolitiken

Die Themen Identität und Identitätspolitik sind populär. Eine Vielzahl von politischen, aber auch wissenschaftlichen Publikationen der jüngeren Vergangenheit arbeiten sich am scheinbar wiedererstarkenden Bedürfnis nach Identität ab. Nicht nur die „Causa Trump“ zeigt uns, wie etwa mit Ab- und Ausgrenzung, Rassismus, Sexismus und Homophobie Politik gemacht und Wahlen gewonnen werden können. Identitätspolitik ist aber nicht nur ein Phänomen politisch rechter Provenienz. Seit Langem schlägt sich auch die politische Linke mit dem Begehrlichkeiten, den Problemen, aber auch Chancen identitätsbezogener Politik herum. Lea Susemichel und Jens Kastner beschreiben in ihrem Buch linke Identitätspolitik als ein „Hin-und-her-gerissen-Sein“: Anziehend ist Identitätspolitik vor allem aufgrund der politischen Erfolge, die mit Hilfe der Betonung kollektiver Identitäten bisher erreicht werden konnten. Als Beispiele können hier feministische Bewegungen oder auch die „Black Lives Matter“-Initiative genannt werden. Problematisch wird Identitätspolitik vor allem dann, wenn soziale Identitäten mehr und mehr erstarren. Dies ist dann der Fall, wenn sich Gruppen oder Kollektive nach außen hin abschließen, keine Durchlässigkeit mehr gewähren und dadurch repressiv werden.

Das Buch von Lea Susemichel und Jens Kastner verdeutlicht „Zweischneidigkeit“ und die Ambivalenz emanzipatorischer Identitätspolitiken anhand von Beispielen und theoretischen Überlegungen. Häufig wird etwa konstatiert, dass Identitätspolitik im Widerspruch zu Sozial- bzw. Klassenpolitik stünde. So wurde etwa den Demokraten im letzten Präsidentschaftswahlkampf der USA immer wieder vorgeworfen, dass sie Themen wie soziale Ungleichheit und Armut verdrängt und nur noch für die Stärkung von Minderheitenrechten, wie z. B. für die der LGBTI-Bewegung, eintreten würden. Die AutorInnen stellen hingegen klar, dass dieser „altbackene[] Antagonismus“ (S. 25) kein zwingender sei und – historisch betrachtet – Identitäts- und Klassenpolitik häufig Hand in Hand gingen. In der historischen ArbeiterInnenbewegung verdichtete sich der kollektive Kampf und das Zusammenleben auch immer zu so etwas wie einer gemeinsame Identität (vgl. S. 39ff.). Das heißt: Will man emanzipatorisch wirken, muss man den politischen „Kampf sowohl um kulturelle Anerkennung als auch für soziale Gleichheit führen“ (S. 26).

Beispiele von Vereinheitlichung, Ausschluss oder Extremismus

Susemichel und Kastner verweisen aber auch auf Beispiele, in denen linke Identitätspolitik in Vereinheitlichung, Ausschluss oder gar in Extremismus umschlug. Beispielsweise entstanden in der „schwarzen“ BürgerInnenrechtsbewegung ab den 1960er-Jahren immer wieder Gruppen, die einen Separatismus oder „schwarzen“ Nationalismus vertraten. Teile der „Black Power“-Bewegung entwickelten etwa eine essentialistische Ideologie, in der das „Schwarz-Sein“ verklärt wurde, Kampf um die gesellschaftliche Vormachtstellung der eigenen Gruppe zu legitimieren (vgl. S. 66ff.). Als weiteres Beispiel kann die Debatte um den Ansatz der „kulturellen Aneignung“ genannt werden. Diese Theorie kritisiert u. a. die Instrumentalisierung von kulturellen Elementen fremder „Völker“ für kommerzielle oder identitätspolitische Zwecke. Wenn etwa ein Unternehmen für eine Modekollektion traditionelle Kleidungsstücke indigener „Völker“ kopiert und verkauft, oder sich eine „weiße“ Person Dreadlocks stehen lässt, um cool zu wirken, sprechen VerfechterInnen dieser Theorie von illegitimer kultureller Aneignung. Susemichel und Kastner gestehen zu, dass die Tatsache, dass mittlerweile nahezu alles – auch Elemente traditioneller Kulturen – einem ökonomischen Verwertungsimperativ unterworfen wird, durchaus kritikwürdig ist. Der Ansatz der kulturellen Aneignung begehe jedoch den Fehler, Kulturen zu essentialisieren, indem bestimmte kulturelle Inhalte wie Kleidungsstücke oder Frisuren fest „an ethische Zugehörigkeit geknüpft“ (S. 88) werden. Häufig lässt sich die dahinter liegende Ideologie „konzeptionell vom rechten Nationalismus, der mit rigiden moralischen und politischen Maßnahmen Grenzen zwischen Gruppen zu ziehen versucht, kaum mehr unterscheiden […]“ (S. 89).

Der Konflikt zwischen den VerfechterInnen von Identitätspolitik und jenen, die eine solche kritisieren oder ganz ablehnen, wird linke und emanzipatorische Politik wohl noch lange begleiten. Die Widersprüche, die in diesem Zusammenhang auftreten, werden sogar noch intensiver werden: Zum einen sind politische Bündnisse und die damit zusammenhängende Notwendigkeit kollektiver Handlungsmacht nach wie vor essentiell. Zum anderen differenzieren sich gesellschaftliche Strukturen, die zugehörigen Positionen sowie verschiedene Identitätskonzeptionen immer weiter aus, sodass eine verbindende Politik immer schwieriger zu bewerkstelligen ist. Im Bewusstsein, dass Politik nicht ohne Identitätskonstruktionen zu haben ist, plädieren Suesemichel und Kastner für eine nicht-essentialisierende Identitätspolitik, die Unterschiede weder negiert noch als „substantielle“ betrachtet. „Wie jede Identitätspolitik muss auch sie anerkennen, dass die eigene Homogenität lediglich eine Hilfsfiktion ist und sie muss Differenz als konstituierendes und sogar konstruktives Merkmal bejahen.“ (S. 136) Hierfür bedarf es sowohl eines kritischen Bewusstsein als auch einer radikalen Solidarität.