Zukunft der Arbeit: Neue Beschäftigungs- & Lebensmodelle

Ausgabe: 1998 | 4

Ein Zurück zur Vollbeschäftigung alten Musters wird es nicht mehr geben. Darin stimmen mittlerweile viele Expertlnnen überein. Unbestritten ist aber auch der gefährliche Spiraleffekt hoher Arbeitslosigkeit: Die Sozialausgaben steigen, die Steuereinnahmen und Sozialversicherungsabgaben aus Arbeitseinkommen sinken, die Kaufkraft nimmt ab, die Wirtschaft wird geschwächt. Als Rezept der Gegensteuerung dominiert noch immer: Ankurbelung des Wirtschaftswachstums durch Innovationsschübe, mehr Qualifizierung, Ausbau der Dienstleistungen, immer öfter ist auch vom Abbau der Sozialleistungen die Rede.

Helmut Saiger, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologe und Leiter eines "Instituts für Erfolg" in Lüneburg macht einen anderen Vorschlag: Er trauert der alten Vollbeschäftigung nicht nach, vielmehr plädiert er für eine Erweiterung des Arbeitsbegriffes, den er in seiner "Fünf-Arbeiten-Bürgergesellschaft" skizziert. Neben der Erwerbsarbeit stellt der Autor zu allererst die umfangreichen Leistungen aus privater Haushaltsund Familienarbeit heraus und prognostiziert eine Renaissance dieser Eigenleistungen. In der Folge beschreibt er Perspektiven einer neuen "Bürger-zu-Bürger-Tauscharbeit" in lokalen Netzen, Tauschringen und kommunalen Bürgerpunktesystemen. Diese ergänzen soll eine Wiedererstarkung der Gemeinsinnarbeit, die in unterschiedlichen ehrenamtlichen Tätigkeiten zum Ausdruck kommt. Saiger sieht hier ein großes Potential, welches durch immaterielle Vorteile (Beziehungen, Qualifikation, Anerkennung), aber auch reale geldsparende Einkommen (Bürgerpunkte, Bildungsgutscheine) gefördert werden könnte. Als fünfte Arbeit nennt der Autor schließlich Bildungsarbeit, die im Sinne des lebenslangen Lernens zukünftig an Bedeutung gewinnen werde.

Der Wirtschafts- und Kommunalberater kritisiert die Defizite unseres auf Erwerbseinkommen und Marktgeschehen reduzierten Lebens: "Das Lieblingskind der Wirtschaft ist der Bürger mit möglichst wenig sozialen Bindungen und möglichst wenig stabilen Werten:' (S. 214) Anschaulich beschreibt er das mögliche Zusammenspiel der "fünf Arbeiten'; das auf den drei Säulen Wirtschaft, Staat und Bürgergesellschaft fußt, wobei den Kommunen und lokalen Gemeinschaften wieder stärke Bedeutung zukommt. Folgerichtig schließt der "den Ideen des Kommunitarismus verpflichtete Band mit der Schilderung der fiktiven "Zukunftsstadt Burgpapen" Diese zeichnet sich aus durch ein reiches Vereinsleben, Bildungs- und Jobagenturen, ein Parlament für Freiwilligenarbeit, Betreuungsketten für Kranken- und Altersvorsorge sowie ein Leben jenseits des "geldfressenden Status- und Freizeitkonsums".

Saiger macht deutlich, wie in unseren" Nachknappheitsgesellschaften" ein kreativer Umgang mit Zeit jenseits der Erwerbsarbeit neue Lebensqualitäten eröffnen kann. Unklar bleibt jedoch das Verhältnis von Erwerbs- und Bürgerarbeit (wer leistet was zu welchen Teilen?) sowie die Verteilung der nach wie vor notwendigen Geldeinkommen (einschließlich der Produktivitätsgewinne).


H. H.

Saiger, Helmut: Die Zukunft der Arbeit liegt nicht im Beruf Neue Beschäftigungs- und Lebensmodelle. München: Kösel, 1998. 232 S., DM / sFr 26,80 / ÖS 209,-