Zivilisationskritik und Prophetie des »New Age«

Ausgabe: 1987 | 4

Dem Diktum Karl Poppers, dass gegenüber prophetischem Denken der Geist des Rationalismus und der Aufklärung zu fördern sei, steht das Wiederaufleben des Irrationalen - die Skepsis gegenüber dem abendländischen Wissenschaftsverständnis - entgegen. Die Renaissance des Mythischen tritt nach Schüler immer dann auf, wenn »Komplexität als Irritation der Harmonie empfunden wird«. Die Kritik des Autors orientiert sich an dem seiner Meinung nach repräsentativen Dokument der Bewegung - an F. Capras Bestseller »Wendezeit«. Darin wird der summarisch-vernichtenden Beschreibung der Gegenwart die Vision eines paradiesischen Endzustandes entgegengesetzt. »Das ganzheitliche Denken ist die Methode, mit deren Hilfe alles erklärt, das Auseinanderstrebende wieder harmonisiert werden kann.« Schüler sieht in der Bewegung Zeichen einer romantischen Abkehr von Politik, die in gespenstischer Parallelität zu den Sinnstiftern und Wahrheitsverkündern vergangener Epochen steht. Im Rückgriff auf Mythos und intuitive Schau wird bestätigt, dass auf herkömmlichem Weg kein Weiterkommen möglich ist, Dessen ungeachtet werden naturwissenschaftliche Theorien (Biologie, Quantenphysik u.a.) als Kronzeugen für die Korrektur des Weltbildes herangezogen. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden dann vermischt mit fernöstlichem, indianischem oder auch afrikanischem Gedankengut. Im Konzept des New Age wird nach Schüler zudem übersehen, „dass mit der retrospektiven Utopie einer vereinigten, organisch austarierten Kultur, in der alle Menschen vollkommen sind, ein Mythos des goldener] Zeitalters beschworen wird, in dem individuelle Unfreiheit, wie wir sie aus dem geschichtlich überlieferten Mittelalter (oder dem Leben in primitiven Gesellschaften) her kennen, ausgeblendet erscheint“. New Age schließt sich insofern der Logik aller Untergangskonzeptionen an, als die Zeitspanne zwischen Situationsbestimmung und Untergang zur Umkehr genützt werden muss. In den kulturellen Erscheinungen unserer Zeit bereits die Boten eines grundlegenden Paradigmenwechsels zu sehen, sei jedoch ein gravierender Fehlschluss. Der Individualisierung durch das Vertrauen auf prophetische Rede, Glaubensverkündigung und Endzeiterwartung setzt Schüler analytisches Denken entgegen. Zusammenfassend stellt der Autor zwei Elemente heraus, die New Age als Ideologie entlarven: den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und die identitäts- und sinnstiftende Gefühlsmacht des Glaubens an eine ideale Gesellschaft. Dies bedeutet einen Rückfall hinter die Aufklärung, weil Mystik die unerwünschten Folgen des Fortschritts nicht bannt. Mystisch verklärte Ganzheitlichkeit als sinnstiftende Ideologie vermag die eigentlichen politisch-ethischen Aufgaben unserer Zeit nicht zu lösen. Leider bedient sich der Autor einer überaus komplizierten Sprache, so dass viel von seiner fundierten Kritik schwer zugänglich ist.  

Schüler, Andreas: Alte Gefahren, neue Zeit? Zivilisationskritik und Prophetie des »New Age«. In: Universitas. 42. Jg. (1987), Nr. 10, S. 1016-1026