Innovation, so Eckart Minx im Geleitwort zu dieser ursprünglich als Dissertation an der TU Berlin vorgelegten Arbeit, ist vermutlich der Schlüsselbegriff unserer Epoche. Der Begriff „bezeichnet einerseits den Tatbestand, die Voraussetzung für Erfolg und Teilhabe an Fortschritt und Entwicklung zu sein. Aber auch die konträre Betrachtungsperspektive, diejenige, die den Aspekt des Mangels an, der Unmöglichkeit von, sogar der Unwilligkeit zur Innovation hervorhebt, ist Teil des öffentlichen Diskurses“ (S. 9).
Unter welchen Bedingungen – so die zentrale Fragestellung von Ingo Rolladen – findet Innovation statt? Wie gehen unterschiedliche Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Forschungspolitik mit Zeit um? Und wie wirken sich divergierende Zeitkulturen auf die Gestaltung oder Blockade von Innovationen aus? Der Autor stellt einleitend bisherige Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Zeit und Innovation dar, diagnostiziert dabei ‚weiße Flecken’ sowohl in historischen als auch systemischen Darstellungen und bietet einen Überblick über einige zentrale Begriffe im Kontext seines Themas an, indem er etwa Trägheit, Beschleunigung, Zeitfenster, optimales Timing oder Temporal Leadership, Controlling und Roadmaps als innovationsrelevante Parameter vorstellt. Darüber hinaus werden Leitfragen und Begriffe der Innovationsforschung diskutiert, um im Anschluss daran die soziologischen Grundlagen der Untersuchung auszubreiten. Rollwagen definiert Zeit als „Mittel zur Handlungsstrukturierung“, wobei die Wahrnehmung unterschiedlicher und sich überlappender Zeitmuster in komplexen Gesellschaften als zentrale Herausforderung gelingender Kooperation herausgearbeitet wird (vgl. v. a. S. 91ff.). Zur Strukturierung der weiteren Untersuchung formuliert der Autor „Hypothesen zum Umgang der Akteure mit Zeit/Ausprägungen sozialer Zeit“ (s. Kasten S. 105), die im weiteren Verlauf der Untersuchung in Form von Experten-Interviews im Kontext der Virtual-Realitiy-Technologie-Forschung empirisch überprüft werden. Bestätigt wird dabei die Annahme verschiedener „Zeitlogiken“, die Rollwagen als „arenenspezifische Zeitmuster und -horizonte“ folgendermaßen charakterisiert: Die „wirtschaftliche Arena“ ist gelegenheits- und ergebnisorientiert, geprägt von reflexiver Strukturierung; in der „wissenschaftlichen Arena“ herrscht hingegen ein flow- und neugierorientiertes Zeitmuster vor, das zwar auch reflexiv strukturiert ist, aber zugleich wesentlich auch von den Aspekten Reputation und Ressourcen geprägt wird; in der Forschungspolitik schließlich herrsche eine auf Legitimation und Kontrolle ausgerichtete, rigide Zeitstruktur vor (vgl. S. 181). Um die zeitliche Synchronisation der drei Bereiche zu befördern, diskutiert der Autor abschließend Möglichkeiten der Veränderung von Zeitnormen innerhalb der Arenen, der wechselseitigen Wahrnehmung der jeweils unterschiedlichen Zeitmuster und -bedürfnisse sowie der wechselseitigen Anpassung mit dem Ziel der Steigerung von Innovationsprozessen. Akteure der Forschungspolitik etwa sollten sich in der Rolle von ModeratorInnen üben (vgl. S. 216).
Der aktuelle Diskurs zum Thema Zeit ist vorwiegend auf Fragen wie Entschleunigung, die Gewinnung von individuellen und kollektiven Eigenzeiten und Ähnliches mehr fokussiert. Der hier gewählte Zugang stellt dazu eine ergänzende, gewissermaßen realitätsnahe Gegenposition dar, die überzeugend auf die Komplexität hoch technisierter Gesellschaften verweist. Ob aber Innovationen grundsätzlich nur unter dem Gesichtspunkt der Akzeleration gedacht werden können, ob nicht eine ‚sanfte, soziale Innovationsstrategie’ eher ein Ausweg aus der Beschleunigungsfalle sein könnte, wird an dieser Stelle nicht erörtert. W. Sp.
Rollwagen, Ingo: Zeit und Innovation. Zur Synchronisation von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bei der Genese der Virtual-Reality-Technologien. Bielefeld: transcript-Verl., 2008. 246 S., € 26,80 [D],
27,60 [A], sFr 46,90; ISBN 978-3-89942-899-5