Walter Spielmann: Kultur zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Ausgabe: 1998 | 2

Editorial aus der ProZukunft-Ausgabe 2/1998

Es war vor allem eine - in jeder Hinsicht - pompöse Inszenierung kulturellen Engagements, die da vom 30. März bis 2. April dieses Jahres in Stockholm über die Bühne ging. Mehr als 2.000 Teilnehmende aus etwa 140 Staaten hatten sich auf Einladung der UNESCO und der schwedischen Regierung in der europäischen Kulturhauptstadt eingefunden, um unter dem ebenso klingenden wie hinterfragenswerten Titel „The Power of Culture" den Zusammenhang von Kultur und Entwicklung auszuloten. Als Mitglied der überaus starken österreichischen Delegation - in Sachen Kultur immer noch eine Großmacht? - hatte ich, wie wohl die meisten der Gäste aus aller Welt, Gelegenheit, Eindrücke der gegensätzlichsten Art zu sammeln. Denn wohl selten wird man den Kontrast zwischen Wunsch und Wirklichkeit Wort und Tat, politischem Kalkül und alltäglicher Erfahrung krasser erfahren haben als hier. Federico Mayor, dem charismatischen Generaldirektor der UNESCO, war es vorbehalten, zu Beginn der Veranstaltung in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Plenarsaal den "Willen zu einer kulturellen Renaissance" einzufordern, um der "Kultur des Krieges" ein Ende zu bereiten. "Wir müssen aufhören, die Kinder zu enttäuschen, die Verschiedenartigkeit der Völker und Individuen als unabdingbare Voraussetzung zukunftstauglicher Entwicklung erkennen und fördern sowie der Globalisierung dort Grenzen setzen, wo sie diese bedroht", betonte Mayor, der nachdrücklich auch die Entwicklung eines Weltethos als Voraussetzung friedlicher Koexistenz anmahnte. Vielfach ähnlich gestimmt, über weite Strecken aber glatt konturlos und ermüdend diplomatisch - so erlebte man, von Ausnahmen abgesehen, in den darauffolgenden Tagen die jeweils rund zehnminütigen Beiträge der nationalen Kulturrepräsentantinnen, die dort, wo konkrete Empfehlungen anstanden, unverbindlich agierten. So blieb etwa der Vorschlag, zumindest 1-2 Prozent der nationalen Budgets für einschlägige Aktivitäten aufzubringen, umstritten und fehlt demnach auch in den zu Abschluss der Konferenz in aller Eile redigierten Empfehlungen des "Action Plan': der der nächsten UNO-Vollversammlung zur Beratung vorliegen soll. Kann etwa die Einsicht des Vizepräsidenten der Weltbank, Ismail Serageldin, dass wirtschaftliches Wachstum nicht alles sei, und man daher in nächster Zeit 20-30 Kulturprojekte mit maßgeblichen Mitteln fördern werde, ermutigen? Nur bedingt denn die im gleichen Atemzug angekündigte Überprüfung der Zuwendungen nach streng ökonomischen Kriterien unterschlägt die Tatsache, dass sich kultureller Mehrwert eben nicht in Zahlen und Prozenten festmachen lässt. In zwei parallel organisierten großen Foren und v. a. den rund 40 Agoras - überwiegend von den nur Beobachterstatus innehabenden NGOs organisiert - konnte man hingegen einen lebendigen Eindruck davon gewinnen, wie unabdingbar menschenwürdige Entwicklung mit der Bewahrung und Förderung kultureller Vielfalt verknüpft ist. Beeindruckend für mich insbesondere die Beispiele aus Afrika und Asien, in denen künstlerisches Engagement als Instrument ästhetischer Reflexion, vor allem als Mittel sozialer Integration und des Empowerment verständlich wurden. Wenn - um nur ein Beispiel zu nennen - wie im Kairoer „Kom Ghorab"-Projekt (so gut wie) rechtlose BürgerInnen ihre täglichen Sorgen, Nöte und Hoffnungen durch öffentlich zugängliche Straßenbilder zum Ausdruck bringen, so wachsen Selbstbewusstsein und Aufmerksamkeit für ihre Anliegen gleichermaßen: Erfahrungen, von denen auch Europa zu lernen hätte. Ein überzeugendes Plädoyer für präventive Kulturpolitik enthält der fakten reiche und zielorientierte Band "In from the margins", (1) der im Auftrag der EU-Kommision erarbeitet wurde. Eine unmissverständliche und dringende Aufforderung, kulturelle Agenden in das Zentrum öffentlichen Handelns zu rücken, um den sozialen, technologischen und auch wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Denn letztlich ist gerade auch eine reiche Gesellschaft, die sich bis zu 20 und mehr (vor allem auch jugendliche) Arbeitslose "leistet", nichts weniger als kulturlos. Die Erfahrungen von Stockholm legen es nahe, die Struktur derartiger Veranstaltungen grundsätzlich zu überdenken, Wenn es auf Einladung Österreichs im Frühjahr 2001 in Wien zu einem "Welt-Kulturgipfel" kommen sollte, so wäre die verstärkte Einbindung von Kunst- und Kulturschaffenden wohl unerlässlich. Nur so nämlich dürfte es gelingen, die Kluft zwischen Schein und Sein ein Stück weit zu schließen. Walter Spielmann

 

(1) In from the margins. A Contribution to the debate on Culture and Development in Europe. Ed.: Council of Europe Publishing, 3765., 1997 (ISBN 92-871-3336-0/ Zu bestellen über Tel.: +33 (O}3 88 41 2581, E-Mail: sophie.lobey@seddoc.coe.fr