Eine neue Welle der Romantik rollt über uns hinweg. Christian Saehrendt durchstreift in seinem Buch „Gefühlige Zeiten“ die Welt der neuen Sehnsüchte und Naturbezüge, die seiner Meinung nach immer präsenter werden. Paradoxe Fluchtbewegungen und Versteckenspiele nennt er die Phänomene.
Der Streifzug ist lehrreich und erheiternd. Saehrendt lenkt unseren Blick auf Veränderungen, die langsam rund um uns stattfinden, oft aber übersehen werden. Hochzeiten werden aufwändiger, dem Erlebnis des romantischen Tages werden schon mal die Liebeszweifel geopfert. In Umfragen wird ein „romantischer Partner“ gesucht, das Instrument dafür ist dann das Abgleichen von Eigenschaftslisten. „Der Triumph der Romantik und ihr Aufgehen in einer Produkt- und Dienstleistungspalette sind ein- und dasselbe.“ (S. 21) Umso mehr rationale Ökonomie unsere Leben begleitet, desto mehr suchen wir Romantik. Wir finden sie, indem wir sie kaufen.
Die Revue der neuen Romantik geht weiter: Auch im Tourismus wird viel gezahlt, um märchenhafte Schönheit zu sehen mit Wäldern und Wiesen, Burgen, Schlössern und Fachwerkstädtchen. (S. 36) Auch im Fußball schimpfen Anhänger von Borussia Dortmund (Umsatz: ca. 270 Millionen Euro pro Jahr) die TSG Hoffenheim wegen deren Abhängigkeit von der Softwarefirma SAP, sie würden den wahren Fußball bedrohen.
In der Politik werden abstruse Verschwörungstheorien immer populärer. Im Wirtschaftsleben lässt sich plötzlich die Niederlage als besondere Form der „Glaubwürdigkeit“ verkaufen. Man vergleiche dazu die Entwicklung des MSV Duisburg in den vergangenen Jahren, der mit jedem Abstieg mehr Saisonkarten verkauft. Auch die Suche nach dem wahren eigenen Ich, dem eigentlichen „Wesen“ wird populärer (und zum kaufbaren Erlebnis), während die Wissenschaft immer mehr Zweifel an der Abgrenzbarkeit des Ich und der Existenz eines solchen Wesenskerns nahelegt. (S. 184f)
Saehrendt wirkt am Ende seiner Reise durch die neue Romantik entnervt. „Vielleicht liegt der Fehler darin, diese Welt immer noch romantisieren zu wollen. Reichen nicht zweihundertfünfzig Jahre dieses Wahnsinns? Der Zwang zur Verzauberung der Welt, der ewige Wunsch nach Verschmelzung mit allem und jedem, die ständige Abwertung dessen, was man hat, und dessen, was ist, zugunsten dessen, was man ‘eigentlich’ sein und haben möchte und verdient hätte?“ (S. 247)
Saehrendt, Christian: Gefühlige Zeiten. Köln: Dumont, 2015. 249 S., € 19,99 [D], 20,60 [A] ISBN 978-3-8321-9790-2