Humanität zwischen Hoffnung und Illusion

Ausgabe: 2001 | 2

„Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es!”, meinte Erich Kästner. Legt man diesen Maßstab an die menschliche Geschichte an, gibt es verhältnismäßig wenig Gutes zu berichten. Maria und Franz Wuketits haben den Versuch unternommen, „unter Berücksichtigung biologischer, anthropologischer, psychologischer und historischer Tatsachen” zu erklären, warum wir einerseits die hohen Ideale der Humanität predigen, warum aber andererseits unser Denken und Handeln immer noch von Diskriminierung und Rassismus bestimmt sind, warum Kriege Dauereinrichtungen der Geschichte sind, warum das Elend der Hungernden das Gewissen der Satten nicht dauerhaft plagt usw.

Am Anfang der Untersuchung analysieren die Autoren die Geschichte der „Entdeckung des Menschen”, eine Entdeckungsreise, die weitgehend von europäischen Ressentiments bestimmt war. Konfrontiert mit der kulturellen Vielfalt des Menschengeschlechts, zog die abendländische Anthropologie bis ins 20. Jahrhundert hinein eine scharfe Trennlinie zwischen sogenannten „Kultur- und Naturvölkern” bzw. zwischen „Menschen und Untermenschen”, eine Unterscheidung, die in der Praxis ungeheures Leid unter die Menschen brachte (Beispiele: Kolonialismus, Rassenhass). Während sich das erste Kapitel auf solche Weise mit den Konflikten zwischen den Kulturen beschäftigt, untersucht das zweite Kapitel die in den Menschenbildern angelegten Herrschaftsstrukturen (Ranghierarchien) innerhalb einer Kultur (vor allem Begründungen charismatischer und bürokratischer Herrschaft). Kapitel 3 wendet sich der vornehmen Idee der Menschenrechte zu und analysiert ihre historische Entwicklung von den ersten Ansätzen in der Antike über die Magna Charta bis zur Menschenrechtsdeklaration. Dabei wird u.a. deutlich, wie leicht sich der edle Gedanke der Humanität vor den Karren inhumaner Machtpolitik spannen lässt.

Im vierten Kapitel beschäftigen sich die Autoren mit den „inhumanen Kräfte unserer Natur”, wobei sie besonderes Gewicht auf das biologische „Prinzip Eigennutz” legen, das altruistisches Handeln nur unter ganz bestimmten Umständen (Beispiel: „reziproker Altruismus”) wahrscheinlich macht. Kapitel 5 nimmt die inhumanen Kräfte unserer Zivilisation unter die Lupe und zeigt anhand konkreter Beispiele auf, inwiefern Religion, Staat und Wirtschaft humanitäre Bestrebungen schon im Keim ersticken. In den letzten beiden Kapiteln ziehen die Verfasser ein Resümee ihrer Untersuchung.

Zugegeben: Das Fazit am Ende dieses spannenden Buches wirkt ein wenig zwiespältig und unbefriedigend. Dies liegt jedoch nicht an den Autoren, sondern an der Situation, in der wir uns befinden. Vor dem Richtstuhl aufklärerischer Vernunft versagen einfache, eindeutige Lösungsmodelle. Die Idee der Humanität bleibt unverzichtbar, auch wenn sie leicht ausbeutbar ist und wohl kaum je befriedigend in die Tat umgesetzt werden kann. Es ist diese Widersprüchlichkeit, dieses Spannungsfeld von Hoffnung, Illusion und wissenschaftlicher Ent-Täuschung, die ausgehalten werden müssen, wenn man der Welt in humanistischer wie realistischer Weise begegnen möchte. (Ein Humanist, der das Grauen in der Welt verschleiert, wird zum naiven Träumer, ein Realist, der die Welt so akzeptiert, wie sie ist, zum hoffnungslosen Zyniker. Es ist eine der Stärken dieses Buches, dass es dazu auffordert, diesen allzu einfachen Lösungen auszuweichen. Eben deshalb wirkt das Buch - trotz des nüchternen, illusionslosen Blicks auf die Menschheit - alles andere als destruktiv. Es ist leicht verständlich geschrieben und vermag den Leser zu fesseln wie ein guter Roman. Selbstverständlich konnten Maria und Franz Wuketits nicht alle Aspekte der weit gefächerten Thematik beleuchten. Aber durch die kompakte Schreibweise ist ihnen ein Werk gelungen, das viele Menschen ansprechen und zum Nachdenken anregen dürfte. Es ist zu hoffen, dass das Buch weite Verbreitung  (z.B. als Grundlagenliteratur für den Ethikunterricht) findet. Schließlich ist es besser - so Ludwig Marcuse -, „das Gute steht nur auf dem Papier - als nicht einmal dort!“ M. S.S.

Wuketits, Maria; Wuketits, Franz M.:  Humanität zwischen Hoffnung und Illusion. Warum uns die Evolution einen Strich durch die Rechnung macht. Stuttgart: Kreuz-Verlag, 2001. 207 S., DM 39,90 / sFr 36,90 / öS 290,-