Eine Abrechnung mit dem Multimedienjahrzehnt

Ausgabe: 2000 | 2

Der Anspruch, immer wieder Neues bieten zu müssen bzw. dessen Ablehnung, wenn es zuviel davon gibt, führt uns geradewegs auf das Terrain der Informationsparadoxien, auf das uns Jo Vulner, Medien- und Kommunikationsberater, begleiten will. Der „Multilevel-Infoworker“, wie er sich selbst nennt, sieht heute eine neue Ausformung der Zweidrittel-Gesellschaft, die „in Sachen Info-Aids bereits eine Dreiviertel-Gesellschaft“ ist: ein Viertel müht sich mit der zunehmenden Informationsflut ab, „drei Viertel vegetieren in Reservaten (sozialer und medialer Art)“ (S. 6).

Der Leser ahnt es bereits, vor uns liegt ein weiteres Produkt zur Befindlichkeit der Menschen im Medienzeitalter. Vulner wählt bewusst eine Analyse zwischen den extremen Positionen sowie unterschiedlichen Diskursformen und behauptet im übrigen gar nicht, viel Neues zur Diskussion beizutragen, denn das ist für ihn bereits der Kern dessen, was er als allwaltenden Infowahn bezeichnet.

In seinem Plädoyer gegen die partielle Lähmung setzt er die Haltung eines verantwortlichen Konstruktivismus, der einen beweglichen Blick auf das Ganze bewahrt und entsprechende Handlungsstrategien entwickelt. Entgegen den Vorstellungen eines Norbert Bolz, für den die Entscheidung für oder gegen die digitale Revolution längst getroffen ist (wir können nur mehr den Preis benennen), hält Vulner unsere Verantwortung fest, die digitale Evolution an einen immer neu zu konstruierenden Humanitätsbegriff zu koppeln.

Die Themenbereiche sind vielfältig und reichen vom Lernen als Dauerbeschäftigung über Ausformungen der Wahrnehmung (in Anlehnung an Paul Virilio, der für jeden „Wahrnehmungsüberforderten ein ‚Recht auf Blindheit’ einfordert“) bis hin zur Interaktivität oder das den Zusammenhang von Kunst und Computer. Vulner verteidigt die Bilder gegenüber Texten und sieht keine Dominanz der einen oder anderen Ebene, denn „wer nicht lesen kann, versteht auch keine Bilder“ (S. 66). S. E. lässt sich Information nicht demokratisieren, denn ein weit verbreiteter Irrtum der „digitalen Demokratisierer“ besteht seiner Ansicht nach in der klassischen Verwechslung von massenhafter Verbreitung und demokratischer Nutzung der neuen Medien. Ironisch bis zynisch zeigt sich Vulner v. a. in dem Abschnitt „Die Lust am Untergang des Nachbarn“. Aus einer präzisen Beobachtung der Medienlandschaft heraus kommt er zu dem Schluss, dass es erst richtig spannend wird beim hautnahen Näherrücken eines Unglücks, dann ist nämlich „das überlebenslüsterne Entzücken am größten“. „Wer vom Tod der anderen Kunde erhält, hat per se überlebt.“ (S. 358) Die Anmerkungen des Autors zum „Katastrophendenken“ sind insofern von Pessimismus getragen, als er „nicht an die sich unmittelbar in den Köpfen der Menschen entfaltende vernünftige Einsicht dessen glaubt, was zur Abwendung von human-koinduzierten Katastrophen getan werden müss(t)e“ (S. 366).

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Eine von vielen Analysen des Medienzeitalters mit einigen interessanten Gedanken. Insbesondere lässt Vulner mit kritischen Äußerungen etwa zur Bildungskrise zwischen widerstandsloser Öffnung zur Wirtschaft und freischwebendem Bildungsparadies aufhorchen lässt, die s. E. nur durch ein Mehr an Eigenverantwortung (Autonomie der Universitäten) gelöst werden könnte. A. A.

Vulner, Jo: Info-Wahn. Eine Abrechnung mit dem Multimedienjahrzehnt. Wien (u. a.): Springer-Verl., 2000.410 S. (Ästhetik und Naturwissenschaften) DM / sFr 68,- / öS 530,50