AIDS - Leben mit der Todes-Kurve

Ausgabe: 1988 | 3

Bis zum Jahr 2000 muß mit einer steigenden Zahl von Aidskranken gerechnet werden. Die Epidemie kommt mit Verzögerung und erfaßt neue Bevölkerungsgruppen. Optimisten können allenfalls einen "Rückgang des Anstiegs" erwarten. Weltweit sind der Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit knapp 100.000 Kranke bekannt. An diese Zahl glauben aber nicht einmal die Beamten. Als Faustregel gilt, daß dreißig bis hundertmal mehr Menschen infiziert sind, das ergibt eine Zahl von drei Millionen Kranken bzw. Toten bis zum Jahr 2000. Wie rasch sich die Seuche nun wirklich ausbreitet, diskutierten Aids-Forscher auf einem Kongreß in Stockholm. Im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten, die die Gesamtbevölkerung erfaßten, folgt Aids einer "abgeflachten Exponentialfunktion". Die Durchseuchung der Risikogruppen erfolgt relativ rasch, die Zahl der Infizierten kann sich folglich nicht mehr wesentlich erhöhen. "Die Gesamt-Aids-Kurve flacht also aus mathematischen Gründen ab - aber nicht, weil die Epidemie ihrem Ende zugeht."

Die Gefahr für den Durchschnittsbürger, so die Experten, sich durch zufälligen, ungeschützten Kontakt mit einem Partner zu infizieren, "scheint derzeit unvorstellbar gering - nämlich 1 :5,000.000". "Genauso gefährlich sei es ( ... ), auf dem Hinweg zu diesem Treffen mit 15 Kilometer pro Stunde im Auto tödlich zu verunglücken." Das bereits vorher bekannte Fazit der WHO-Aids-Konferenz war, daß vorerst keine Aussichten auf Heilung bestehen und die vorbeugende Impfung noch nicht in Sicht Ist. Gute Chancen rechnet man sich bei der Eindämmung des Virus aus. Genaue Zahlen sind hier jedoch nur schwer zu eruieren.

Klingholz, Reiner: Leben mit der Todes-Kurve. Erkenntnisse der jüngsten Forschung. In: Die Zeit. 1988, Nr. 25, S. 11-12, 14