Design statt Sein und übers Leben reden statt zu leben

Ausgabe: 1999 | 2

Nach Lektüre dieses Buches stellt sich unweigerlich die Frage: Homo, quo vadis? Und wäre der Befund nicht so traurig, müßten wir herzhaft lachen ob Guggenbergers ironischer Darlegung: „Wir haben seit den fernen Tagen des Paradieses nie anderes getan, als Steine auf Berge zu wälzen, wo sie nicht liegenbleiben wollten.“ (S. 288) Die Themen allerdings, um die es dem Sozialwissenschafter letztendlich geht, sind nicht gar so lachhaft, handelt es sich doch um nichts weniger als unsere Existenz, unser Leben, unser Da-Sein und um die pervertierten Ausflüchte des (post-) modernen Menschen: Design statt Sein und übers Leben reden statt zu leben.

Mit Bravour schwingt sich Guggenberger von einer heiligen Kuh dieser Gesellschaft zur nächsten, um immer wieder zu der Erkenntnis zu gelangen: die Simulation, das So-tun-als-ob ist das beliebteste aller Gesellschaftsspiele, die Wirklichkeit entschwindet uns, je mehr wir live dabei sind. Die Menschen arbeiten heftig daran, sich abzuschaffen! „Sein oder Design - das ist längst nicht mehr die Frage [...]: Schönheit kaufen wir in der Parfümerie, die Freiheit bei Porsche und BMW [...]“ (S.45). Ob es die Wissenschaft, die Technik, die Kunst oder gar die Liebe ist: Guggenberger sieht den derzeitigen Stand kritisch bis äußerst bedenklich, er denkt die Entwicklungen zu Ende und formuliert seine sezierenden Einwände virtuos und brillant. Über das Medienzeitalter macht er sich im besonderen her: Es ermöglicht dem „bildschirmnomadischen Höhlenbewohner“, in Zeiten der vielgerühmten Mobilität seinen dämmrigen Bau nur mehr selten verlassen zu müssen. Die Orte der Politik wandern vom Parlament zur Pressekonferenz ab und verhelfen uns so zur Talkrundendemokratie. „Wer die Wahrnehmung kontrolliert und ihre Inhalte definiert, der ist der neue Souverän.“ (S.55)

Vermeintliche Errungenschaften wie die emotionslose, objektive Wissenschaft, die das Wagnis meidende Politik, das Zusammenrücken von Raum und Zeit fallen allesamt der spitzen Feder zum Opfer: Gestylte Standpunktlosigkeit, Beschleunigung und Ortlosigkeit und v.a. Entgrenzung, so sieht für Guggenberger die wirklich bedenkliche Rückseite der Medaille aus. „Zu viel, zu schnell, zu entgrenzt“, konstatiert Guggenberger und tritt an zur Rehabilitation der Grenze, zu einem Zeitpunkt, da die Diskussionen ums globale Dorf en vogue sind. Die grenzenlose Welt schaffe mit ihren raum-zeitlichen Dekompositionstendenzen die Überforderung des Einzelnen, der nicht mehr imstande sei, mit dieser Welt fertig zu werden.

Trotz der gnadenlosen Abrechnung mit den Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft, versteht sich Guggenbergers Buch als Aufmunterung: Es will dazu aufforden, Wissen und Leben zusammen haben zu wollen und sich nicht mit einem zu begnügen.

Wer selbst ein Unbehagen mit der sich überschlagenden Beschleunigung aller Lebensabläufe, dem Zeitgeist und der postmodernen Ästhetisierung hat, wird sich bei Guggenbergers Buch gut aufgehoben fühlen. Ob der Mensch räsonierend zur Räson gebracht werden kann, sei dahingestellt. A. E.

Guggenberger, Bernd: Sein oder Design. Im Supermarkt der Lebenswelten. überarb. u. aktual. Neuausg. Erstausg. 1987. Hamburg: Rotbuch-Verl., 1998. 301 S., DM 38,- / sFr 35,- / öS 277,-