Die Faust ballen, um zu segnen

Ausgabe: 1993 | 2
Die Faust ballen, um zu segnen

Editorial 1993/2:

Guter Freund Robert Jungk, Sehr geehrte Frau Jungk!  Sie sind es, die mich in den letzten Monaten, seit ich in Salzburg arbeite, im Grunde gelehrt haben zu verstehen, dass wir in einer unglaublich spannenden Zeit leben. Es ist dies ein Wort, dass Sie, vermute ich, jeden Tag einige Male gebrauchen. Wir leben in einer Zeit, die von vielen Intellektuellen als gefährlich, als eine Endzeit, als eine Zeit mit vielen Fragen angesehen wird. Und Robert Jungk ist derjenige, der sagt: Nein, es ist eine ungeheuer spannende Zeit. Es ist eine Zeit in der wir gezwungen sind, alle unsere Traditionen erneut in Frage zu steilen. Ich glaube, wir sprechen zurzeit eine Sprache, in der viele Worte den Inhalt nicht mehr abdecken, in der Symbole vielfach nicht mehr verstanden wer-  den. Sie, Robert Jungk, sind derjenige, der trotzdem sagt: Obwohl wir mit schwierigen Problemen konfrontiert sind, die uns unglaublich fordern, leben wir in einer spannenden Zeit. Ich würde sagen, Sie sind ein tägliches Beispiel dafür, was die Intellektuellen und ich sage dieses Wort in aller Bescheidenheit, aber auch mit aller Kraft die der Begriff wiederhaben sollte leisten könnten. Sie, lieber Freund, gehören zu jenen Intellektuellen, die immer wieder zeigen, dass die Zeit der Analyse und des Infrage-Stellens allein vorbei ist. Sie weisen immer wieder darauf hin, dass wir die Ergebnisse unserer Analysen in konkretes Handeln umsetzen müssen. Sie gehören zweitens zu jenen Intellektuellen, die Ziele andeuten. Wir haben so oft erlebt, dass viele Inhalte in Frage gestellt werden, ohne dass darüberhinausgehend Perspektiven vor allem für die Jugend angegeben werden. Und wenn so viele junge Menschen gerade Sie so schätzen, so wohl deshalb, weil Sie nicht nur die Frage stellen, die jeder junge Mensch sich stellt wie Tamino in der „Zauberflöte": "Ist denn alles Heuchelei?", sondern nachher auch die Antwort geben. Und Sie sind schließlich ein Intellektueller, der darauf hinweist, dass, wenn man Ziele sucht, sie immer wieder in der Kunst finden kann. Gerade in einer Zeit, in der die Künstler, die Wissenschaftler, die Forscher immer wieder sich selbst und ihre Arbeit vertreten müssen, ist es wichtig, dass es Leute gibt wie Sie, die darauf hinweisen, dass nicht nur die Fragen, sondern vielfach auch die Antworten zum Greifen naheliegen. Es genügt, bedeutende Malereien anzusehen. Es genügt, einige schöne Bücher zu lesen - nicht nur die Titel zu kennen, sondern auch deren Inhalt, damit wir Lösungen für die Zukunft finden.  Zu Ihrer Person würde ich vor diesem Publikum sagen (Sie sind ja, wie Sie wissen, sehr oft umstritten): Ein Mensch, der nicht den Mut hat, die Faust zu ballen, wenn er jung ist, kann später, wenn er älter wird, nicht segnen. Sie sind uns wirklich ein Richtungsweisender, eine ganz große Persönlichkeit in Salzburg. Sie haben mich gelehrt, dass das Symbol dieser Stadt die Festung ist. Und Sie haben mich auch darauf hingewiesen, dass die Festung für lange Zeit für die Salzburger ein Symbol der Macht und der Gewalt war. Und so haben Sie mich und viele andere gelehrt, dass jede Realität zum Guten umgewandelt werden kann. Ich glaube, das ist das Basisprinzip Ihrer Hoffnung und Ihrer Forschung. Wir danken Ihnen dafür und hoffen, dass wir noch lange mit Ihnen gemeinsam in dieser Stadt arbeiten werden.

(Leicht überarbeitete Fassung jener Rede, die Gerard Mortier, der Künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, zum 80. Geburtstag von Robert Jungk am 11. Mai gehalten hat.)