Pablo Sólon

Systemwandel

Ausgabe: 2019 | 2
Systemwandel

In dem aus dem spanischen übersetzten Sammelband geht es um Auswege aus der globalen multiplen Systemkrise des Kapitalismus und der heutigen Zivilisation. Absehbar kulminieren die zahlreichen gesellschaftlichen, politischen, technologischen, ökonomischen und ökologischen Krisensymptome in der dramatischen Möglichkeit einer Zerstörung der existenziellen ökosystemischen Lebensbedingungen unserer Spezies, die fataler Weise von Menschen gemacht wäre.

In diesem Kontext hat der renommierte Globalisierungskritiker und Boliviens früherer UN-Vertreter Pablo Solón konzeptionelle Auswege und konkrete Alternativen zusammengestellt und die Dringlichkeit ihres bewussten Zusammenwirkens dargelegt. Solón arbeitete von 2006 bis 2011 in der bolivianischen Regierung unter Evo Morales und von 2012 bis 2015 als Direktor der NRO „Focus on the Global South“ (Bangkok). Nun ist er Direktor seiner „Fundación Solón“. Seines Erachtens kann die heutige Krise des globalen Systems nur durch systemische Lösungen überwunden werden. Denn „die Logiken des Kapitals, des Produktivismus und Extraktivismus, der Machtkonzentration, des Patriarchats und des Anthropozentrismus geben auf allen Ebenen den Ton an: von der Politik bis zu den persönlichen Beziehungen, von den Institutionen der Macht bis zur Ethik, von der Vergangenheitsbewältigung bis zu den Zukunftsvisionen.“ (S. 213)

Unter Mitwirkung weiterer AutorInnen werden die einzelnen progressiven Ansätze überblicksartig dargestellt sowie Querbezüge und allgemeine Übereinstimmungen thematisiert. Ähnliches wurde zuvor bereits von anderen AutorInnen vollbracht, etwa von Paul Hawken („Blessed Unrest“) oder Erik O. Wright („Reale Utopien“). In Solóns Zugang werden aber auch die Grenzen der Ansätze skizziert und erste Schritte eines Verständnisses füreinander hergestellt, damit ein künftiges Zusammenwirken in Bewegung gesetzt werden kann. Denn „keiner dieser Vorschläge – Buen Vivir, Degrowth, Ökofeminismus, Deglobalisierung, Rechte der Mutter Erde oder Commons – kann für sich alleine eine befriedigende Antwort auf die systemische Krise geben. Um systemische Alternativen zu schmieden, müssen sich all diese Ideen und viele weitere gegenseitig ergänzen.“ (S. 22) Nur dann könne eine allfällige sozial-ökologische, eine große und zukunftsfähige Transformation gelingen, sie wäre ganzheitlich, gleichzeitig und überall zu realisieren, also von der individuellen bis zur globalen Ebene.

Auch die französische Mitautorin Geneviève Azam zeigt in ihrem Kapitel zu „Degrowth“ auf, dass ebenjenes Konzept zahlreiche Zusammenhänge und Komplementaritäten zu anderen Ansätzen aufweist. „Über den Kapitalismus stellt Degrowth eine Zivilisation in Frage, in deren Vorstellung Freiheit und Emanzipation durch die Beherrschung und Ausplünderung der Natur erreicht werden (…). Dieses Projekt der rationalen Beherrschung der Welt, der Menschen und der Natur steht vor dem Kollaps.“ (S. 90)

Solón strebt bewusst und wohlbegründet nicht an, die einzelnen Konzepte in eine einzige umfassende Systemalternative mit universellem Geltungsanspruch zu verarbeiten. Vielmehr setzt er auf das Postulat der Komplementarität: Aufgrund der unterschiedlichen Kontexte und der Aufgabe, die verschiedenen Faktoren der Krise zu berücksichtigen, bleiben die Antwortversuche und die verschiedenen AkteurInnen aufeinander angewiesen. Dies ist ein wichtiger Beitrag, denn wie Solón meint, sei die Ausgangslage für intellektuelle Eitelkeiten oder Selbstgespräche zu ernst.

In der deutschsprachigen Ausgabe werden ergänzende Literaturangaben und ein Überblick über die AkteurInnen und den Diskussionsstand zu einzelnen Aspekten eines kapitalismuskritischen Systemwandels im hiesigen Raum geboten. Der Band bietet konkrete Ansatzmöglichkeiten für eine breite, bunte und inklusive Bewegung zur Überwindung der zunehmend bedrohlich werdenden Systemkrise.