Schuld und Vergebung in unserer Welt

Ausgabe: 1992 | 3

Der Text entstand als Unterlage für den Deutschen Evangelischen Kirchentag und wurde dort auszugsweise am 8. 6. 91 vorgetragen. Er beginnt und endet mit der Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin: Die Pharisäer und Schriftgelehrten wollen Jesus dazu bringen, gegen das Gesetz Moses auszusagen, das für Ehebruch der Frau die Steinigung vorsieht, um ihn dann vor seinen Anhängern bloßzustellen. Als sie nicht aufhören, ihn mit dem Gesetzestext zu bedrängen, sieht er vom Zeichnen im Sand vor dem Tempel auf, und sagt: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Einer nach dem anderen verschwinden die Ankläger, und Jesus sagt: "So verdamme ich dich auch nicht. Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr." Für den "konstitutionellen Zweifler und Aufklärer" von Hentig illustriert diese Geschichte eine Wahrheit: Leicht entrinnt einer dem Gesetz, aber nicht dem Wissen um die eigene Schuld. Er wählt drei ihn tief beunruhigende Erfahrungen: Neonazis, den Golfkrieg sowie die Vereinigung Deutschlands, um an seinem Tun sein (unser) Scheitern als Pädagogen, Pazifisten, Humanisten zu analysieren, und dies, obwohl er diese Entwicklungen seit 1945 bewusst wahrnahm und ihnen aktiv entgegenwirkte bzw. sie vorbereiten half. Er spricht von Bewährungschancen: "sie bedeuten allemal mehr Phantasie, mehr Geduld, mehr Mut, mehr Opferbereitschaft. [...] dies alles habe ich selber nicht gezeigt" . 1990 wird der Autor von der Evangelischen Akademie in Greifswald eingeladen, über Verantwortung und Schuld des Pädagogen zu reden. Dabei erwies sich Schuld als etwas sehr schwer Mit-teilbares, so dass sich v. Hentig an dieser Stelle dazu entschließt, von vier Dichtungen zu erzählen, die der Generation nach 1945 geholfen haben, zu sich zu kommen. Den umfangreichsten Teil des Buches macht eine acht Punkte umfassende Typologie von Schuld und Vergebung in unserem Denken aus, wiederum reich belegt mit Literatur aus der Antike, der Gegenwart, und zeitgenössischen Reflexionen von Freunden. "Richtet nicht aber seht auch nicht weg!' - ein Fazit" ist der Titel seines Schlusskapitels. K C. H.

Hentig, Hartmut v.: " ... der werfe den ersten Stein". Schuld und Vergebung in unserer Welt. München, Wien: Carl Hanser, 1992. 102 S., DM 16,801sFr 14,20 / öS 131