Nicht so sehr einzelne Kapitel als vielmehr die Absichten der Herausgeber verdienen das Attribut, zukunftsweisend zu sein. Hier wurde eine Anthologie von Texten erstellt, die aus verschiedensten Blickwinkeln ein Phänomen beleuchten, dessen Brisanz heute rasant wächst: wo die Skepsis gegen objektive, wissenschaftliche Erkenntnisse zunimmt, die von vielen als hart, kalt und gnadenlos empfunden werden, wächst die Sehnsucht nach letzten Einsichten, nach persönlicher Wahrheit. Der "Verkennung der Seele" wollen die Herausgeber entgegenwirken; die "unverwirklichten Möglichkeiten des westlichen Geistes", die von den Hohepriestern des Christentums und der Wissenschaft immer wieder ins Abseits gedrängt wurden, wollen sie aufweisen. Dafür ziehen sie Texte bei, die einen Geschmack von dem vermitteln, was Gnosis von der Antike bis heute war und ist. Warum dieses Unterfangen so aktuell ist, begründet Sloterdijk damit, dass heute "die Wiederholung der Spätantike auf der Spitze der Modernität in ihr heißes Stadium eintritt". Die gesammelten Schriften reichen von den Papyruskodizes von Nag Hammadi und apokryphen Evangeliumstexten über philosophische, theologische, poetische und esoterische Schriften bis zur „metaphysical fiction in Fantasy-Dimension" unserer Zeit. Es fehlen auch nicht kritische Stimmen zu den gnostischen Spekulationen. 139 Texte sind in den beiden Bänden vereint. Die Herausgeber - selber mit je 50 Seiten vertreten - wollen in unserer Zeit der „neuen Unübersichtlichkeit" neue Möglichkeiten des Verhältnisses des Menschen zur Welt herausschälen. Das Buch kreist um Wege, "in der Welt, aber nicht von der Welt“ zu sein. Reflektiert wird auch der Einwand, Gnosis sei letztlich nur Weltflucht. Wer auf Entdeckungsreise in das unbekannte Land der eigenen Seele gehen will, findet für dieses Unterfangen sicher mehr als genug Stoff und Anregung. Hilfreich wären allerdings umfassendere Hintergrundinformationen zu den einzelnen Texten. Ch. S.
Weltrevolution der Seele. Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis von der Spätantike bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Peter Sloterdijk und Thomas Macho, 2 Bände. Gütersloh: Artemis & Winkler, 1991. 10325., DM 78,-/ sFr 61,-/ öS 561,60