Phänomen Facebook

Ausgabe: 2011 | 1

Tatsächlich kann man mittlerweile über Facebook nur in Superlativen sprechen. Die Benutzerzahlen steigen und steigen. 600 Millionen Menschen sind inzwischen weltweit registriert, der Marktwert des Unternehmens wird derzeit auf etwa 50 Milliarden Dollar geschätzt. Das weiße „f“ auf blauem Grund ist allgegenwärtig. Jeder vierte Internet-Nutzer der Welt (Stand Mitte 2010) hat auf der blau-weißen Webseite ein Profil angelegt. Die Werbung, genau auf diese Personendaten abgestimmt, ist das große Geschäft von Facebook. Was mit dem Datenfundus genau passiert, weiss niemand. Die Kritik vor allem seitens der Datenschützer-Organisationen reißt aber nicht ab (vgl. auch „Die Facebook-Falle“). Die Google-Suchanfrage „Kritik an Facebook“ bringt aktuell ungefähr 15.300 Treffer.

Der Journalist und Web 2.0-Experte Jakob Steinschaden beschäftigt sich mit dem Phänomen Facebook zwar umfassend, den Schwerpunkt legt er aber auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Entwicklungen sowie auf den bereits angesprochenen Aspekt des Umgangs mit den Daten. Er hat dazu mit Werbefachleuten, Programmierern, Psychologen, Pädagogen und Datenschützern gesprochen.

Meister des Quantifizierens

Grundsätzlich ist nach Ansicht des Autors der Erfolg von Facebook auf drei Faktoren zurückzuführen: es kostet nichts, die Bedienung ist einfach und man kann es gemeinsam mit seinen „Facebook“-Freunden nutzen. Zudem sei Facebook ein Meister des Quantifizierens, so Steinschaden. Alles wird gezählt, Freunde, Freundschaftsanfragen, Fotos, Tags, erhaltene Nachrichten, Einladungen. Im TV, Radio bzw. in den Printmedien als Einschaltquote bzw. Reichweite bezeichnet, geben diese Zählungen darüber Auskunft, wie viele Menschen einen Inhalt gesehen, gehört oder gelesen haben. Dazu kommt mit den sogenannten „Like“-Funktionen auch eine qualitative Bewertung von Inhalten. „Gefällt mir“ kann man fast zu allem sagen, was man auf Facebook findet.

Der Autor beschäftigt sich auch mit den Auswirkungen des Online-Netzwerks auf unser Leben. Was bedeutet es für unsere Privatsphäre und die Öffentlichkeit, für Schule, Beruf, Medienkonsum und Internetznutzung? Der Begriff „Freund“ hat in Facebook eine inflationäre Bedeutung erhalten: „Niemand hat 5000 Freunde, und selbst die durchschnittlich 130 Personen, die Nutzer als Freunde hinzufügen, haben nichts mit realen Freundschaften zu tun.“ (S. 15) Das hängt damit zusammen, dass das Wort „friend“ im Englischen nicht so eng definiert wird wie im deutschsprachigen Raum.

Die Soziologin Sherry Turkle spricht in einem Interview (Macht mal Pause in: Die Zeit v. 24.2.2011, S. 42) von Entfremdung und Verlust an Verbindlichkeit in Beziehungen. „Ein Facebook-Freund ist kein Freund – es sei denn, er war es vorher schon offline“, sagt sie im Gespräch und räumt gleichzeitig ein, dass wir Freundschaften per Facebook auf interessante Weise erweitern können. Für sie gehört es aber zum Kern des Menschseins, dass wir uns auf die Komplexität des Lebens im Geflecht von Beziehung im realen Leben einlassen.

Durch die riesige Zahl an Usern ist der Online-Marktplatz natürlich für die Werbung heiß umkämpft und es tobt ein Ringen um Aufmerksamkeit. Marken, Firmen und Stars – also fast jeder – buhlen um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Das Erregen von Aufmerksamkeit funktioniert bei Facebook immer dann am besten, so Steinschaden, „wenn auf Fotos, Videos oder Status-Updates möglichst viele Hüllen fallen und Grenzen der Intimsphäre überschritten werden“ (S. 178). Es zeichnet sich hier ein großer gesellschaftlicher Trend ab, den die Soziologen als „kulturellen Narzissmus“ bezeichnen. Gemeint sind damit die Medialisierung des Privatlebens. Es ist geradezu, wie es der Schriftsteller Martin Simons formulierte, eine „Entfesselung der Privatsphäre“ im Gange: „Im Grunde kann man die Öffnung der Privatsphäre für die Halböffentlichkeit, wie man sie in sozialen Netzwerken praktiziert, auch als Zeichen einer tief verwurzelten Einsamkeit spätmoderner Menschen lesen.“ (Simons, zit. nach Steinschaden, S. 180)

Ende der Privatsphäre?

Und schließlich zeichnet Steinschaden hinsichtlich der Datensicherheit, ebenso wie zuvor Adamek, ein überaus bedrohliches Szenario. Berichtet wird, dass 2010 ein Software-Fehler 30 Minuten lang sämtliche E-Mail-Adressen der Mitglieder enthüllte, ebenso erlaubte eine Sicherheitslücke die Einsicht privater Chatnachrichten von Freunden. Ende Juli 2010 wurde aufgedeckt, dass ein Hacker über mehr als 100 Millionen Mitgliederdaten auslesen konnte, weil diese Daten alle öffentlich zugänglich waren. „Zusätzlich wurde bekannt, dass ein Software-Fehler nicht nur anonymisierte Daten an Werbetreibende weiterleitete, sondern auch die eigentlich zu schützenden Namen der Nutzer.“ (S. 182) Eine große Gefahrenstelle sei schließlich auch der „Like-Button“, der sehr leicht manipuliert werden könne.

Zu Ende seines Buchs fasst der Autor noch einmal die wichtigsten Regeln und Pflichten zusammen, die man in den Nutzungsbedingungen akzeptiert. Wer danach keine Lust mehr hat, weiter ein Facebook-Konto zu betreiben, dem seien Webseiten empfohlen, die beim Ausstieg behilflich sind. Z. B. suicidemachine.org des in Rotterdam lebenden Wiener Medienkünstlers Gordan Savicic: dessen Webseite löscht nach Eingabe der Login-Daten sämtliche Infos aus dem eigenen Facebook-Profil. Darüber hinaus hat sich auch ein „Verein der Freunde des Aussteigens aus sozialen Netzwerken“ unter www.ausgestiegen.com formiert, der ebenfalls Hilfestellung anbietet, wie man sein Facebook-Profil am besten löscht. Nicht zuletzt empfiehlt der Autor spezielle „Privatsphäre-Einstellungen“, die über die Schaltfläche rechts oben im Profil zu finden sind (S. 187).

Gläserne Zukunft

Laut Prognose des Experten wird Facebook spätestens 2012 an die Börse gehen. Wenn das Netzwerk weiter so wächst wie bisher – etwa alle fünf Monate kommen 100 Millionen neue Nutzer dazu – , dann zählt das Online-Netzwerk im Oktober 2011 etwa 800 Millionen Mitglieder (vgl. S. 191). Sollte künftig restriktiver mit der Privatsphäre umgegangen werden, dann gibt es bald weniger wirklich Interessantes für Schaulustige zu sehen und das Interesse bzw. die Nutzung könnten schwinden. Der Autor erinnert an den Film „Die Truman Show“. Dort heißt es am Schluß: „Die Geheimnisse sind aufgedeckt, die Geschichten fertig erzählt, und die Menschen wenden sich wieder anderen Beschäftigungen zu.“ (S. 193)

Dieses empfehlenswerte Handbuch „Zum Ende der Privatsphäre“ bietet einen fundierten Einblick in die Welt von Facebook und kommt zudem ganz ohne Aufdecker-Stories und Skandale (wie momentan beim Thema „Wikileaks“) daher. Wer letzteres erwartet, sollte sich den Film „The Social Network“ ansehen, der  diesen Aspekt bedient. Wie die wirkliche politische Bedeutung des Mediums letztlich einzuschätzen ist, wird wohl erst die Geschichte zeigen.

Steinschaden, Jakob: Phänomen Facebook. Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt.Wien: Ueberreuter-Verl., 2010. 207 S., € 19,95 [D], 20,55 [A], sFr 33,90