Editorial 3/1996
Am Montag, den 12. August 1996 hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen zu besuchen und eine Darstellung ihrer Arbeit zu hören. Ich war nach Österreich gekommen, um eine Vorlesung im Rahmen der Sommerkurse der International Space University (ISU) zu halten, die 10 Wochen lang an der Technischen Universität in Wien stattfanden. Ich hatte mit Dr. Spielmann vereinbart, dass ich die Studenten der Abteilung Raumfahrt und der ISU einen Tag nach Salzburg bringen würde, damit sie aus erster Hand mehr über die Zukunftsforschung und das Leben und Werk Robert Jungks, Österreichs führenden und auch weltweit hervorragenden Futurologen (der auch für mich von großer Bedeutung war), erfahren könnten. Die ISU, 1985 mit Unterstützung der Europäischen Raumfahrtsagentur und der französischen Regierung in Straßburg gegründet, ist eine einzigartige Organisation - eine der aufregendsten, denen ich je begegnet bin. Sie bringt Studenten und junge Experten der verschiedensten Fachgebiete aus aller Herren Länder zusammen, damit sie alle Aspekte der Raumforschung studieren: von der Raketentechnik über die Biologie bis zur Sozialwissenschaft, Philosophie, Religion, ja sogar Science-Fiction. Die Lehrenden der ISU kommen aus Raumfahrtsagenturen, aus der Raumfahrtsindustrie, aus einschlägigen Akademien und Fachorganisationen aller Länder, die Raumprogramme haben, sich dafür interessieren oder aber auch kritisieren. Im Credo der Institution heißt es u.a.: Die ISU "ist eine Einrichtung, die auf der Vision einer friedlichen, prosperierenden und grenzenlosen Zukunft durch das Studium, die Erforschung und Entwicklung des Weltraums zum Wohl der ganzen Menschheit beruht. (...)" Mit diesem Hintergrund tauchen insgesamt 11 "Weltraumbewegte" mit unterschiedlichsten beruflichen Erfahrungen - vom Geographiestudenten bis zu einem Testdirektor der NASA - aus Frankreich, Japan, Österreich, Russland und den USA in der Zukunftsbibliothek auf. Unser Gastgeber war herzlich und umgänglich, aber er verbarg auch nicht seine Skepsis gegen über der Raumforschung und forderte nach seiner Darstellung der Zukunftsbibliothek die Gruppe mit harten Fragen über die Raumforschung heraus. Ob Raumforschung keine Verschwendung an Zeit und Mitteln sei? Ob wir hier nicht auf der Erde wichtigere Probleme hätten, denen unsere Aufmerksamkeit gelten sollte, bevor wir uns um den Mond und den Raum dahinter kümmerten? Unser Antworten lassen sich in zwei Bündel zusammenfassen:
1) Raumforschung, wie wir sie verstehen, verfolgt als eine ihrer zentralen Intentionen, dass Kenntnisse über das Weltall und solche, die aus dem Weltall über die Erde gewonnen werden, für irdische, humane und friedliche Zwecke genutzt werden. Zum Beispiel beruht vieles von dem, was wir heute über Umweltprobleme wissen, auf Informationen, die wir von erdumkreisenden Bildsatelliten empfangen haben. Ich würde sogar behaupten, dass das erste Foto unseres Planeten vom Mond aus vielen von uns erst bewusst gemacht hat, wie einsam, wertvoll, zart und verletzlich unsere kleine blaue Kugel ist, die ungesichert im dunklen, abweisenden Nichts schwebt. Dieser Eindruck hat wohl mehr als irgendetwas anderes der Umweltbewegung den entscheidenden Impuls gegeben. Der Weltraum bietet uns ferner ein "Vakuum" für das Entwerfen, Umsetzen und Überprüfen alternativer Lösungen für viele der sozialen und umweltbezogenen Probleme der Erde, ohne dabei von den Bindungen der aktuellen Politik oder geschichtlichen Belastungen eingeschränkt zu sein. Das All kann eine Art Laboratorium sein, in dem wir freier und kreativer Konzepte entwickeln und erproben können, als das in den irdischen Begrenzungen möglich wäre. So rührt etwa mein Interesse an der Raumforschung konkret davon her, dass ich den Mars gern als Ort für neue politische Strukturen nutze, weil es meine Studenten so schwer finden, kreativ und einfallsreich zu sein, wenn sie sich neue Regierungsformen auf der Erde ausdenken sollen.
2) Die Menschen haben seit Anbeginn über das All nachgedacht und davon geträumt - und so brauchen wir uns eigentlich nicht dafür entschuldigen, dass auch wir uns der staunenmachenden, sinnes- und bewusstseinserweiternden, aufregenden Wirkung ergeben, die kosmologische Studien und die konkrete Raumfahrt auf den menschlichen Geist ausüben. Gewiss scheinen Raumforschungsprogramme eine Verwendung der wertvollen Ressourcen der Erde zu sein, wenn man sie der Größe der Nöte der Menschheit gegenüberstellt. Aber die Ausgaben dafür betragen - sogar in den USA und Russland - nur einen winzigen Anteil der nationalen Budgets. Verglichen mit dem, was Menschen für andere Dinge ausgeben - wie etwa für Tabak, Drogen, Pornographie oder Sport, Werbung - verglichen mit all dem Geld, der Zeit und dem Engagement für all dieses recht weltliche Zeug, wäre es kleinmütig und schandbar, einen Bruchteil davon nicht für das Weltall, seine Erforschung und Besiedlung zu investieren, für die Erweiterung unseres Bewusstseins davon, was wir sind und was genau unsere Heimat ist. Das alles nicht zu tun, wäre erst recht eine Verschwendung der menschlichsten unserer Ressourcen: unserer Phantasie, unseres Vermögens zu staunen und unserer Neugier.
Wollen Sie nicht zu mir und all den anderen von der ISU stoßen? Ad Astra! Jim Dator