Die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei

Ausgabe: 1996 | 4

Walter Dornberger, Oberst im Heereswaffenamt Berlin und Leiter der Abteilung für Raketenentwicklung, als Generalmajor Kommandeur der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, nach dem Krieg Vizepräsident der Bell Aircraft Corporation in Buffalo; Arthur Rudolph, technischer Direktor des Versuchsserienwerks Peenemünde, 1943 Betriebsdirektor der unterirdischen V2-Fertigungsstätte "Mittelwerk" im Harz, während der 50er Jahre beteiligt an der Entwicklung der Redstone- und Pershing-1-Raketen, zuletzt Direktor des Entwicklungsprogramms der Mondrakete Saturn V; und schließlich und vor allem Wernher v. Braun, technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, später Leiter des Heeresamtes für ballistische Raketen in Huntsville (Alabama) und Direktor des George-Marshall-Raumfahrtzentrums der Weltraumbehörde NASA - ihnen gilt die vorliegende historische Rekonstruktion. Mit zahlreichen Dokumenten und erschütternden Berichten belegt Rainer Eisfeld - er ist Politikwissenschaftler an der Universität Osnabrück und Mitarbeiter im Kuratorium der Stiftung für die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora - die Verstrickungen der Raketeningenieure in das NS-Regime. Er zeigt auf, daß diese "deutschen Väter der Raumfahrt" sich nicht nur ohne Zweifel in den Dienst von Hitlers Kriegsmaschinerie gestellt haben ("Sich aus dem öffentlichen Leben nach Möglichkeit ganz und gar fernzuhalten ", war - so Hannah Arendt, die gemeinsam mit Robert Jungk zu Beginn zitiert wird "die einzige Möglichkeit, in die Verbrechen nicht verstrickt zu werden. "). sondern daß sie auch den Einsatz der vielen" Hilfskräfte" mitzuverantworten hatten, die zum Bau der Raketen benötigt, und für die eigene Konzentrationslager eingerichtet wurden (16000-20000 Zwangsarbeiter sind im Zuge der "V2" -Entwicklung und Herstellung ums Leben gekommen, darunter viele durch Exekutionen, an denen - so ist belegbar - auch Zivilingenieure als Zuschauer beteiligt waren). Eisfeld schildert in der Folge auch den Zusammenbruch des NS-Regimes, den eiligen Abtransport der Raketenunterlagen aus Peenemünde und Mittelbau durch die Amerikaner, um diese nicht den Sowjets in die Hände fallen zu lassen, sowie schließlich die" Karrieren" der deutschen Forscher im Dienste von US-Militärstellen und der amerikanischen Raumfahrt, welche durch "Schlupflöcher" in der Entnazifizierung durch US-Behörden möglich wurden (Trumans Projekt “Paperclip"). 

Eisfelds Rekonstruktion der Verstrickung der deutschen Erbauer von Vernichtungswaffen in den Nationalsozialismus, die von diesen und der Öffentlichkeit (etwa der Biographien über Wernher v. Braun) immer geleugnet und verdrängt wurden, erst nach gut fünfzig Jahren kommt dennoch nicht zu spät. Nicht nur, daß der 50. Jahrestag des Erstflugs einer" V2" Ende 1992 nur aufgrund internationaler Proteste nicht unter offizieller Beteiligung der Bundesregierung begangen wurde, immer noch wollen Gemeinde und Landkreis Peenemünde mit einem Weltraumpark technikbegeisterte Besucher werben, um die" deutsche Erstleistung ... auf dem Gebiet der Raketentechnik" (Begründung der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten) gebührend zu würdigen. Dieses Buch wird - so ist zu hoffen - den Verantwortlichen ihre Verantwortung in Erinnerung rufen. H.H.

 

Eisfeld, Rainer: Mondsüchtig. Wernher v. Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1996. 286S., DM/sFr 42,-/öS 328