Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik

Ausgabe: 1989 | 3

Der Autor versteht seine ”Nonsens-Formulierurgen" nicht als präzise Auskünfte darüber, was den aktuellen Weltlauf auf seinem Kurs hält, sondern vielmehr als Ausweichmanöver angesichts einer Peinlichkeit". Warum, so fragt der Leser, hat er sich das nicht erspart. Andererseits sollen nach Auskunft Sloterdijks diese Essays Kriterien bilden" für gegenwartsfähiges Denken". Der Titel" Eurotaoismus " wurde deshalb gewählt, weil der geistige Welthandel seit einiger Zeit blüht und ein großer Teil der westlichen Intelligenz "wie man so sagt, ”Asiatisiert'". Er glaubt allerdings nicht, daß der "westlich mobilisierten Welf' durch Asienimporte durch fast food aus Fernost - zu helfen ist. Sloterdijks provokante und ironische Gegenwartsanalyse beginnt bei den Beschleunigungsgesetzen der Moderne. Die Urlauber-Staus dienen ihm zu tiefschürfenden Betrachtungen. Für ihn kommt darin das Scheitern der Moderne zum Ausdruck, das dynamische Motiv einer Gesellschaft führt sich hier ad absurdum. "An diesen glühenden Nachmittagen (...) in der Rheintalhölle vor Köln, eingekeilt am Irschenberg (...), vor sich und hinter sich je fünfzig Kilometer brütendes gestocktes Blech - da steigen schwarze geschichtsphilosophische Einsichten auf wie Auspuffgase, da geht einem Kulturkritisches glossalisch von den Lippen, Nachrufe auf die Moderne wehen aus den Seitenfenstern, und unabhängig vom Niveau ihrer Schulabschlüsse kommt in den Insassen der Fahrzeuge die Ahnung auf, daß dies nicht mehr lange so weitergehen kann. Erste Schritte zur Demobilisierung zeigen sich in der Wiederkehr altasiatischen Denkens. Im Gegensatz zu früheren Zeitaltern hat aber die heutige Unzufriedenheit einen anderen Stellenwert, sie trägt unverkennbar panische Züge, weil wir das Ausbleiben einer Zukunft, die sich an uns erinnert, nicht ausschließen können. Die Zukunft ist auch insofern problematisch, als inmitten permanenter Bewegung völlig unklar ist, was morgen gilt. "Wenn wir recht haben, uns die unmittelbare Zukunft als eine Zeit vorzustellen, in der sich steigernde Katastrophenrisiken rapide aktualisieren , dann sieht Sloterdijk für die Zukunft zwei Möglichkeiten: Ruhigstellung der Gesamtmobilmachung oder ihre Potenzierung bis ins ökologische Inferno. Die Katastrophe als letztes pädagogisches Mittel ist für ihn zum Scheitern verurteilt. Die Moderne hat bereits Endzeitcharakter, und Hoffnung ist dabei nur Sekundärprodukt der Ungewißheit über die Grenzen der uns noch verbleibenden Frist. Sloterdijk schlägt dagegen die Verlangsamung des Weltenlaufes vor und plädiert für eine politische Kybernetik durch "konsequente ökologische Zügelung der Produktionsmotive und durch die Entmilitarisierung der Gewinne".

Sloterdijks stupende Sprachkunst, deren Metaphern und Pointen fast auf Schritt und Tritt zum Zitieren und Nachsprechen einladen, bewegt gewichtige Inhalte auch in seinem bereits früher erschienenen Buch: Zur Welt kommen -Zur Sprache kommen. Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988. 176 S. (Edition Suhrkamp 1505) Darin geht es um nicht mehr und nicht weniger als um eine philosophische Anthropologie in nuce, die ein hohes Lied auf Leistung und Funktion der Literatur grundiert. Beeindruckend ist die Souveränität, mit der über den reichen philosophie- und literaturgeschichtlichen Argumentationsfundus verfügt wird.

 

Sloterdijk, Peter: Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1989. 346 S., (Edition Suhrkamp, 1450)