Paul Collier, Direktor des „Centre for the Study of African Economies“ an der Universität Oxford und langjähriger Experte der Weltbank, sieht die gegenwärtige Globalisierung als ambivalenten Prozess. Während die globale Armut für 80 Prozent der Weltbevölkerung sinke und es – trotz großer Unterschiede in den meisten Entwicklungsländern – aufwärts gehe, sehe die Situation für die „unterste Milliarde“ triste aus. Die ärmsten Menschen der Erde – der Experte zählt diese 58 Staaten Zentralasiens und Afrikas zu – würden nicht von der Globalisierung profitieren; im Gegenteil: ihre Lebensbedingungen verschlechtern sich. Die Ökonomien der betroffenen Länder werden nach Collier vom globalen Weltmarkt ausgeschlossen – sie befänden sich im freien Fall. „Der Niedergang der Länder, die heute das Schlusslicht bilden, übersteigt jede Verhältnismäßigkeit. In vielen Fällen ist er absolut. Viele dieser Länder fallen nicht nur zurück, sie zerfallen regelrecht.“ (S. 10)
Fünf wesentliche Ursachen benennt der Experte für diese Abwärtsbewegung: gewaltsame Konflikte, Korruption, verfehlte Wirtschaftspolitik, eine geopolitisch ungünstige Lage und autokratische Regierungen.
Geld allein wird diesen Ländern nicht helfen, so die Überzeugung Colliers, vielmehr müssten innere Transformationsprozesse und jene, die Reformen wollen, unterstützt werden. Insbesondere setzt der Experte auf Entwicklungshilfe, die Wirtschaftswachstum ankurbelt, auf Exportdiversifizierung durch vorübergehende Handelsvorteile (vor allem gegenüber China und Indien), auf die Unterbindung von Korruption und die Unterstützung von reformorientierten Kräften. Collier plädiert hier für internationale Chartas etwa für Ressourcentransparenz (analog dem „Kimberley-Prozess“ für den Diamantenhandel in Afrika), für Regierungsführung, Wahlkampffinanzierung und Gewaltenteilung. In bestimmten Situationen plädiert Collier auch für militärische Interventionen, um Despoten zu stürzen. Der Westen soll den Wettbewerb verzerrende Subventionen für die Landwirtschaft, etwa die US-Baumwolle, auslaufen lassen. Die WTO müsste sich durch einseitigen Abbau der Handelsschranken bedeutend mehr für die Länder der „untersten Milliarde“ einsetzen.
Collier setzt auf Weltmarktintegration der ärmsten Länder und den Aufbau transparenter politischer Systeme, um internationales Kapital anzuziehen. Die kapitalistische Akkumulationsdynamik selbst kritisiert der Entwicklungsberater nicht.
„Der hungrige Planet“
Mit Polemik gegen NGOs spart Collier auch in seinem Folgeband „Der hungrige Planet“ nicht. In diesem widmet sich der Autor den Zusammenhängen von Umwelt und Entwicklung. Mit einem Eintreten für eine lokale Agrarwirtschaft würden die NGOs den Hunger perpetuieren, statt ihn zu bekämpfen. Collier stellt – etwas vereinfachend – in der Umweltdebatte die „Romantiker“, die angeblich die Natur nur bewahren wollen, den „Ignoranten“ gegenüber, die Umwelt- und Ressourcenprobleme leugneten. Seinen Ansatz wähnt der Autor als Mittelweg, der beides berücksichtige: die Probleme durch die Übernutzung der Natur sowie die Chancen durch ihre Nutzung. Für die LeserInnen sehr griffig unterscheidet der Autor drei Herangehensweisen, die er jeweils in „Formeln“ fasst: „Natur + Technologie – Regulierung = Plünderung“. Dieser Ansatz entspreche der derzeitigen Praxis in der Mehrzahl jener Entwicklungsländer, die über Naturressourcen verfügen. Die Gewinne ihrer Ausbeutung gingen an internationale Konzerne sowie an lokale Macht- eliten. Der zweite Ansatz „Natur + Regulierung – Technologie = Hunger“ werde – wie bereits gesagt – vornehmlich von entwicklungspolitischen NGOs verfolgt, was in dieser vereinfachenden Form freilich nicht zutrifft. Zum einen sprechen sich NGOs sehr wohl für eine Modernisierung der Landwirtschaft mit naturangepassten Methoden, etwa des Watermanagements, aus, zum anderen hat der kürzlich erschienene Welternährungsbericht der FAO eben diesen naturangepassten, lokalen Agrarstrukturen die größten Chancen bescheinigt, die Überwindung des Hungers voranzutreiben (siehe eine der letzten PZ). Doch zurück zu Collier: Den dritten Ansatz, den der Autor selbst vertritt, wird in die Formel gebracht: „Natur + Technologie + Regeln = Wohlstand“. Natur könne durchaus eine wertvolle Ressource für Entwicklung sein und gerade Afrika böte hier viele Zukunftspotenziale, so Collier, entscheidend sei jedoch, dass die Bevölkerung von ihrer Nutzung profitiere, was eine entsprechende Regelung der Eigentums- und Zugriffsrechte erfordere. H. H.
Collier, Paul: Die unterste Milliarde. Warum die ärmsten Länder scheitern und was man dagegen tun kann. München: dtv, 2010. 255 S.,
€ 9,90 [D], € 10,20 [A] sFr 16,80
ISBN 978-3-423-34629-0
Collier, Paul: Der hungrige Planet. Wie können wir Wohlstand mehren, ohne die Erde auszuplündern. München: Siedler 2011. 270 S., € 9,90 [D], € 10,20 [A] sFr 16,80 ; ISBN 978-3-88680-941-7