Die blinden Flecken der Ökonomie

Ausgabe: 2001 | 4
Die blinden Flecken der Ökonomie

Die blinden Flecken der Ökonomie. Wirtschaftstheorien in der Krise„Der Glaube an die ökonomische Vernunft“ sei längst zu einer „neuen Weltreligion“ geworden, an die Stelle des kirchlichen Gottes sei der „Marktgott“ getreten. Im Unterschied zu ersterem versprechen die Ökonomen jedoch ein besseres Diesseits. Ihre Erfolge und Misserfolge müssten daher daran gemessen werden, wie weit sie zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen hier auf der Welt beitragen. Bernd Senf, bekannt als Kritiker insbesondere unserer Geldwirtschaft (Zinssystem), ortet freilich mehr Verlierer als Gewinner im sich globalisierenden Kapitalismus.

In seiner trotz vieler Modelle auch für Laien gut verständlichen Darstellung der Wirtschaftsgeschichte spannt der Ökonom den Bogen vom Feudalismus über die Entfaltung des Kapitalismus und der industriellen Produktionsweise, die Gegenbewegung durch den Marxismus, den im Zuge der Wirtschaftskrise der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts entstehenden Keynesianismus bis hin „zur monetaristischen Gegenrevolution“ der Gegenwart.

Interessant sind die vom Autor aufgezeigten historischen Parallelen. Die Bauern Europas wurden zwar von den Feudalherrn befreit, gerieten aber bald in Abhängigkeit von den Geldleihern und wurden schließlich zum städtischen Proletariat. Bei Marx hebt Senf daher insbesondere dessen Kritik an der Entfremdung der Menschen in der Lohnarbeit hervor. Nun wiederholt sich das ganze in der sogenannten Dritten Welt. Die Kündigung von US-Krediten an Deutschland im Zuge des Börsenkrachs von New York 1929 hat nach Senf die Massenarbeitsarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise in Deutschland mit ausgelöst. Parallelen zum instabilen Weltkapitalmarkt der Gegenwart drängen sich auf.


Der Autor kritisiert auch die Vorstellung, dass durch weltweite Arbeitsteilung und den freien Weltmarkt mehr soziale Gerechtigkeit erreichbar sei. Die Probleme hätten sich im Gegenteil zugespitzt, Subsistenzwirtschaften würden vom kapitalistischen Marktmodell sukzessive zerstört. Dazu kommen die ökologischen Zerstörungen: die Nichtbeachtung des Naturkapitals als ökonomische Größe kritisiert Senf bei allen Wirtschaftstheorien, auch im Marxismus. Die sozialen und ökologischen Krisen würden durch das neoliberalistische Konzept weiter verschärft. Die Hauptursache für die Krisen sieht Senf jedoch im Zinssystem, welches nicht nur den Expansions- und Wachstumszwang unserer Wirtschaft bedingen, sondern zugleich die Akkumulation der Kapitaleinkommen auf der einen und der Schulden auf der anderen zur Folge hat Als Wegbereiter einer vom Diktat der Geldakkumulation befreiten Wirtschaft führt der Autor einen von allen Wirtschaftslehrbüchern noch immer tabuisierten Ökonomen, nämlich Silvio Gesell ins Treffen. Die „schleichende Zwangsvollstreckung des Schuldners Staat“, der an der Zinsenlast zerbricht, wird nach Senf zur Zunahme öffentlicher Armut führen.


Wo sieht der Ökonom Auswege? Er hofft auf die Bewusstmachung der „tieferen Ursachen“ der Krisen und darauf, dass die Bevölkerung „aus dem Winterschlaf“ aufwacht (S. 227) Notwendiger denn je würden starke Gewerkschaften, die sich den verschärfenden sozialen Gegensätzen wirksam entgegenstellen, die aber auch an die Wurzeln der Krisen gelangen. H. H.

Bei Amazon kaufenSenf, Bernd: Die blinden Flecken der Ökonomie. Wirtschaftstheorien in der Krise. München: dtv, 2001. 304 S., € 13,55 / DM 26,50 / sFr 24,50 / ÖS 193,-